Crime
Phantomtränen.
Lennox macht das Gerät aus. Wut legt sich wie ein Schraubstock um seine Kehle. Etwas in seiner Brust verkrampft und löst sich unaufhörlich. Er steht unsicher auf, nimmt die DVD heraus und starrt die so harmlos aussehende, neutrale Silberscheibe an. Über das Brummen der Motoren hört er ein Rufen und Schreien aus dem anderen Schlafzimmer. Es bricht abrupt ab, als dessen Quelle Ray Lennox im Türrahmen stehen sieht.– Bitte, nur weiter so. Ich wünsche mir richtig, dass du weiter rumbrüllst, sagt er zu Juan Castiliano.– Dass du noch ein beschissenes Wort sagst. Mehr ist nämlich nicht nötig, damit ich dir deinen Scheißkopf abreiße, und seine kalten, mordlustigen, schwarzen Augen fixieren den Pädophilen, der angstvoll zurückweicht.
Bologna kommt schon in Sicht, als Lennox hinter Chet auf die Brücke tritt. Die Marina ist praktisch menschenleer,als sie anlegen und das Boot vertäuen, doch die Lobster-Bar hat noch geöffnet. Sie gehen noch mal in die Hauptkabine, wo Lennox Chet im Schnelldurchlauf eine Auswahl von Johnnies DVD s zeigt, allerdings nicht die mit Tianna, die hat er eingesteckt. Es sind noch drei weitere kleine Mädchen: Die Kleidung, die sie nicht lange anhaben, sieht ärmlich aus, wahrscheinlich Immigrantenkinder aus Zentralamerika, so Lennox’ Verdacht.
Chet wirkt abgestumpft und zombieartig, als er den Karton mit den DVD s zum VW trägt. Sie fahren zwei Blocks und halten vor einem Gebäude, das ein weißblaues Leuchtschild als Bologna Police Department ausweist.
– Und mich haben Sie ins Internetcafé geschickt, obwohl Sie hier alles zur Verfügung hatten, sagt Lennox.
– Auf See wird das verdammt teuer. Johnnie hat mich ganz schön bluten lassen.
– War das zufällig schottisches Blut?
Chet verzieht leicht den Mundwinkel, während Lennox’ Finger auf den Karton auf seinem Schoß trommeln.– Bringen Sie das auf die Wache. Sagen Sie ihnen alles. Wie Sie Robyns Bekanntschaft gemacht haben. Dass Lance und Johnnie Sie erpresst haben. Bringen Sie sie aufs Boot; die werden Johnnie auf einigen Videos identifizieren. Ein guter Cop hat den in null Komma nichts geknackt.
Chets Schultern straffen sich, und man erkennt, dass ihm ein Stein vom Herzen fällt, die Bürde endlich loszuwerden, aber sein unsicherer Blick verrät das Wissen, welche weitere Belastungsprobe mit unsicherem Ausgang ihm noch bevorsteht.– Kommen Sie mit rein und bestätigen meine Geschichte, Lennox? Und sagen ihnen, dass ich erpresst wurde?
– Das werde ich liebend gern, Chet, aber nicht jetzt sofort. Ich muss los.
– Was haben Sie vor?
– Ich muss Robyn vor Starry und Dearing in Sicherheit bringen, bevor die Polizei dort auftaucht. Sie sollte eine reelle Chance haben, Tianna zu behalten und ihr Leben in Ordnung zu bringen. Nach dem Beweismaterial zu urteilen, das Sie hier haben, hat sie die verdient. Er winkt mit einer Kopie der Liste.– Ich dachte zuerst anders darüber, aber jetzt nicht mehr. Die Gerichte und das Jugendamt könnten allerdings anderer Ansicht sein. Die ganzen Pädos treffen sich jetzt gerade im Embassy Hotel. Sie können die Polizei dort hinführen.
– Okay, sagt Chet besorgt.– Aber Sie werden doch meine Geschichte bestätigen, oder?
– Sie haben mein Wort.
Chet reibt sich seinen grau melierten Schädel.– Sie hatte keine Chance, Lennox. Die hatten sie schon im Visier, als sie noch in Alabama waren.
– Ich weiß. Lennox tätschelt ihm die Schulter.– Ach ja, und Chet, er ringt sich ein Lächeln ab,– mein Vorname ist Ray. Raymond Lennox.
– Tatsächlich? Oh, tut mir leid … Ray … stammelt Chet, als er mit dem Karton aus dem Wagen klettert. Dann sieht er Lennox an, als sei ihm etwas eingefallen.– Ihre Zeitschrift; dieses Brautmoden-Magazin. Ich glaub, Sie haben sie auf dem Boot vergessen.
– Ich kaufe eine neue. Die alte ist ein bisschen ramponiert …
– Ja …
– Viel Glück, ruft Lennox ihm nach, während er zusieht, wie der gespenstisch wirkende Seemann die Stufen zur Polizeiwache emporsteigt, als ginge er über die Planke.
Lennox startet den VW . Robyn kann warten. Er wird sich erst die anderen schnappen. Seine Hände am Lenkrad kribbeln, als er daran denkt, warum er diese Schweine hasst und warum er tut, was er tut.
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19
Edinburgh: Zwei schwarze Sommer
1981
Keiner mag Brutalos. Selbst andere Brutalos, ja ganz besonders die, sehen sich oft veranlasst, zumindest so zu tun, als würden sie sie hassen. Trotzdem sind wir alle
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