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Crime

Crime

Titel: Crime Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh , Pößneck GGP Media GmbH
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schon schikaniert worden und haben andere schikaniert. Es steckt in uns allen; bei Staaten nennen wir es Imperialismus. Man beginnt, sich über sich selbst Gedanken zu machen.
    Wer bist du? Dein Name ist Raymond Lennox, und du bist elf. Es ist Sommer, und du bist aufgeregt, denn du hast zum Geburtstag dein neues Fahrrad bekommen, und dein Fußballverein, die Hearts, ist in die erste Liga aufgestiegen. Du freust dich auf die neue Saison und hast fleißig gelernt, um ein Stipendium für eine gute höhere Schule zu bekommen.
    Obwohl es viel geregnet hatte, war dem Sommer mit der typisch schottischen Zögerlichkeit doch noch eine Hitzewelle beschert. Es war ein strahlender Julinachmittag, zwei Tage nach deinem Geburtstag, dem 7.7.70; ein Datum, dessen Signifikanz, wie dir dein Freund und Hibs-Fan Curtis Park immer wieder gerne unter die Nase rieb, darin bestand, dass die Hibs die Hearts an diesem Tag in einem Edinburgher Derby mit einer Sieben-zu-null-Packung abserviert hatten. Der baumbeschattete Pfad entlang des Water of Leith im Colinton Dell prangte in allen Schattierungen von üppigem Grün, als du und dein bester Freund Les Brodie in T-Shirtsund Kaki-Shorts auf euren Fahrrädern dahergesaust kamt. Du konntest immer noch nicht den Blick von der glänzenden Schönheit deines blauen Raleigh lassen, dessen Lenker deine Hände gepackt hielten. Les hatte einen Platten gehabt und euch aufgehalten, doch ihr wart weiter gefahren als gewöhnlich, verlockt von Berichten über eine neue, spektakuläre Tarzanschaukel noch ein Stück weiter den Fluss hoch. Nun tauchte vor euch drohend der lange, dunkle Tunnel auf, gar nicht so weit weg von der Hauptstraße, die weiter oben verlief. Die tiefere Lage des Flusstals und der dichte Baumbestand verschluckten die Geräusche des Verkehrs, nur das Gurgeln des Flusses unten war zu hören.
    Aber du bist Ray Lennox.
    Und wer ist dieser Ray Lennox? War er immer ängstlich? War er immer zornig? Das nicht, aber vielleicht war Ray als Junge ein klitzekleines bisschen weinerlich. Auf jeden Fall beunruhigte ihn der lange Tunnel. Er kannte ihn von Sonntagsspaziergängen, früher, mit seinem Vater John und seiner Schwester Jackie. Es gab da eine Stelle in der Mitte, wo er einen Knick machte und ihn in totale Finsternis stürzte; weder vom Ausgang vor ihm noch vom Eingang in seinem Rücken erreichte ihn dort ein Lichtschein. Er geriet an dieser Stelle immer in Panik, als könne ihn die allumfassende Finsternis einfach verschlucken. Sein Dad und seine Schwester blieben gerne dort stehen, sie genossen die Stille, und weil sie seine Nervosität spürten, trödelten sie noch extra, um ihn aufzuziehen. Er hatte schnell begriffen, dass er nur ein paar Schritte nach vorn oder zurück machen musste– je nachdem, wo die Sonne stand–, um wieder ins Licht zu sehen und den finsteren Bann zu brechen.
    Am Eingang des Tunnels blickten Ray und Les hoch zu den Efeuranken, die über ihnen baumelten.– Die Tarzanschaukel auf der anderen Seite soll super sein, sagte Les enthusiastisch, obwohl die Sonne nun hinter einer trübenWolke verschwunden war. Dann hörten sie ein dreckiges Lachen und Stimmen aus dem Tunnel. Die Jungs schauten sich an, erst ängstlich, dann entschlossener, als sie wieder in die Pedale traten; keiner wollte seine Angst zugeben. Ray wollte sagen: fahren wir doch zurück und sehen nach eurem Taubenschlag. Aber Les würde wissen, dass er Schiss hatte. Er wusste, dass Ray die Tauben nicht mochte, die Les und sein Vater hielten. Dann wurden die knurrenden Stimmen im Tunnel, offenbar alle männlich, etwas lauter; er fragte sich, wie viele es waren und in welchem Alter.
    Wie schnell und wie schrecklich ihm diese Frage beantwortet werden sollte. Als sie die Jungen vorsichtig näher kommen hörten, verstummten die Stimmen Unheil verkündend. Ray Lennox sah zu den Deckenleuchten hoch, die im Abstand von etwa einem Meter angebracht waren und ein schwaches, orangegelbes Licht absonderten, in dem man den feuchten, kiesigen Boden zu ihren Füßen erkennen konnte. Als sie sich der pechschwarzen Zone näherten, konnten sie die dunklen Gestalten im Schatten sehen. Drei Männer, Anfang dreißig, Anfang und Ende zwanzig. Zuerst war Ray erleichtert, dass sie es mit Erwachsenen und nicht mit größeren Jungen zu tun hatten. Er hörte das mechanische Klicken seiner Gangschaltung beim Weiterfahren. Ein schneller, nervöser Blick zeigte ihm, dass die drei Zigaretten rauchend dastanden und aus einer kleinen Flasche

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