Crisis
Jackentasche befand sich die nicht unterschriebene Exhumierungsgenehmigung, und das Papier raschelte, als er eine Hand hob, um seine Augen zu beschatten. Die Spätnachmittagssonne, die sich im blank polierten Messingtürklopfer spiegelte, blendete ihn vorübergehend.
»Ja bitte?«, fragte Jordan. Trotz des grellen Lichts erkannte Jack, dass er misstrauisch gemustert wurde. Jack trug seine üblichen Jeans, ein blaues Chambray-Hemd, eine Strickkrawatte und ein sommerliches Sakko, das schon so lange nicht mehr gereinigt oder gebügelt worden war, dass er lieber gar nicht darüber nachdenken wollte. Jordan hingegen trug eine karierte Hausjacke und ein Halstuch. Rechts und links von ihm wehte kühle, trockene Luft aus dem Haus, ein Zeichen dafür, dass trotz der milden Temperaturen die Klimaanlage eingeschaltet war.
»Mein Name ist Dr. Stapleton«, begann Jack. Nachdem er spontan beschlossen hatte, eine quasi-offizielle Erklärung für seinen Besuch vorzubringen, fingerte er seine Brieftasche mit seiner Rechtsmedizinermarke hervor. Er hielt sie kurz in die Höhe. »Ich bin Rechtsmediziner und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen Augenblick Zeit für mich hätten.«
»Lassen Sie mich mal sehen!«, sagte Jordan, als Jack versuchte, die Brieftasche mit seiner Marke rasch wieder zurückzustecken.
Jack war überrascht. Es kam selten vor, dass jemand seinen offiziellen Ausweis genauer in Augenschein nehmen wollte.
»New York?«, fragte Jordan, während er seinen Blick wieder hob und Jack ins Gesicht sah. »Sind Sie da nicht ein bisschen weit weg von zu Hause?« Für Jacks Ohren sprach Jordan mit einer aufgesetzten Form jenes melodischen Tonfalls und englisch anmutenden Akzents, die Jack mit neuenglischen Elite-Internaten assoziierte. Zu Jacks noch größerer Verblüffung hatte Jordan nach seiner Hand gegriffen, um sie ruhig zu halten, während er die Marke studierte. Seine sorgfältig manikürten Finger waren kühl.
»Ich nehme meine Arbeit eben ernst«, griff Jack zur Verteidigung auf Sarkasmus zurück.
»Und welche Arbeit führt Sie den weiten Weg von New York in unser bescheidenes Heim?«
Jack konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Bemerkung des Mannes ließ vermuten, dass er über einen ähnlich ironischen Humor verfügte wie er selbst. Dieses Heim war alles andere als bescheiden.
»Wer ist es denn, Jordie?«, rief eine kristallklare Stimme aus den kühlen Tiefen des Hauses.
»Ich weiß es noch nicht genau, Liebes«, rief Jordan liebevoll über die Schulter zurück. »Ein Arzt aus New York.«
»Ich wurde um Hilfe bei dem Rechtsstreit gebeten, in den Sie gegenwärtig verwickelt sind«, sagte Jack.
»Tatsächlich!«, bemerkte Jordan mit einem Anflug von Überraschung. »Und wie genau soll diese Hilfe aussehen?«
Bevor Jack antworten konnte, erschien plötzlich eine attraktive, rehäugige junge Frau, die etwa halb so alt war wie Jordan selbst, hinter seinem Rücken und sah Jack an. Einen Arm hatte sie um Jordans Nacken gelegt und den anderen um seine Taille. Sie lächelte freundlich und zeigte dabei verblüffend weiße, perfekte Zähne. »Warum steht ihr denn hier draußen? Bitte den Doktor doch herein, dann kann er uns beim Tee Gesellschaft leisten!«
Auf den Vorschlag der Frau hin trat Jordan zur Seite, forderte Jack mit einem Wink auf einzutreten und führte ihn dann auf eine längere Reise durch eine große Eingangshalle und ein weitläufiges Wohnzimmer hinaus in einen Wintergarten auf der Rückseite des Gebäudes. Die drei Außenwände und das Dach bestanden vollständig aus Glas, so dass Jack den Eindruck hatte, wieder draußen im Garten zu sein. Obwohl er anfänglich vermutet hatte, »Tee« sei eine verhüllende Bezeichnung für Cocktails, wurde er eines Besseren belehrt.
Nachdem er es sich in einem riesigen weißen Korbsessel mit pastellfarbenen Chintzkissen gemütlich gemacht hatte, servierte ihm eine diskrete Frau in einem Dienstmädchenkleid Tee, geschlagene Sahne und Kekse, ehe sie sich sofort wieder zurückzog. Jordan und seine Freundin Charlene McKenna saßen ihm gegenüber auf einem zu seinem Sessel passenden Korbsofa. Zwischen Jack und seinen Gastgebern stand ein niedriger Glastisch und darauf silbernes Geschirr mit weiteren Süßigkeiten. Charlene konnte ihre Finger kaum von Jordan lassen, während dieser so tat, als bemerkte er ihre unverhohlene Zuneigung gar nicht. Zunächst plauderten sie unverbindlich über dies und jenes, bis sich das Gespräch den Plänen des Paares für den Sommer
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