Cromwell, Bernard
Feuer saß kein Wort sprach und nicht einmal reagierte, als
Aurenna ihm Essen anbot.
Er saß die ganze Nacht dort, hellwach, schweigend und
vollkommen reglos.
Am Morgen schürte Aurenna das Feuer und erhitzte Steine,
um einen Topf mit Fleischbrühe darauf zu setzen; aber Camaban gab immer noch
nichts von sich. Der Wind rüttelte an dem Reetdach der Hütte, zerrte an den
vertäuten Booten und trieb Regenschauer über die Siedlung, wo die Besatzung
von des Zauberers Boot Obdach gefunden hatte.
Saban bot seinem Bruder Essen an, aber Camaban starrte nur
geistesabwesend in das Feuer. Eine einzelne Träne kullerte über eine schwarze
Narbe auf seiner Wange, doch das konnte auch der vom Wind aufgewirbelte Rauch
in der Hütte gewesen sein, der sein Auge reizte.
Erst am späten Vormittag kam plötzlich Leben in Camaban.
Zuerst runzelte er die Stirn und strich sich das Haar aus dem Gesicht, dann
blinzelte er, als ob er gerade aus einem tiefen Traum erwacht wäre. »Sie haben
einen großen Tempel in dem Land jenseits des Meeres«, berichtete er
unvermittelt.
Aurenna starrte gebannt fasziniert an, doch Saban runzelte
die Stirn, weil er befürchtete, sein Bruder würde verlangen, dass dieser neue
Tempel ebenfalls auf die Reise ging.
»Ein großer Tempel«, sagte Camaban mit von Ehrfurcht
erfüllter Stimme, »ein Tempel der Toten!«
»Ein Tempel, der Lahanna geweiht ist?«, fragte Saban, denn
Lahanna hatte schon immer als die Hüterin der Toten gegolten.
Camaban schüttelte den Kopf. Eine Laus krabbelte aus
seinem Haar in seinen Bart hinunter, der genau wie sein Kopfhaar geflochten,
jedoch mit kleinen Fingerknochen geschmückt war. Er roch nach Meerwasser. »Es
ist ein Tempel, der Slaol geweiht ist«, flüsterte er, »den Toten, die mit
Slaol vereint sind!« Auf einmal lächelte er, und Sabans Kindern erschien dieses
Lächeln so wölfisch, dass sie ängstlich vor ihrem sonderbaren Onkel zurückwichen.
Camaban deutete mit den Händen die Form eines niedrigen Hügels an. »Der Tempel
ist ein Hügel, Saban«, erklärte er begeistert, »umringt von Steinen und innen
ausgehöhlt — mit einem Steinhaus für die Toten in der Mitte. Am Tag von Slaols
Tod strömt das Licht der Sonne einen mit Steinen ausgekleideten Schacht hinunter,
und ihre Strahlen fallen genau in das Zentrum des Totenhauses. Ich habe dort
gesessen, habe zwischen den Spinnen und Gebeinen gesessen - und Slaol hat zu
mir gesprochen.« Er runzelte die Stirn, während er abermals ins Feuer starrte.
»Natürlich ist der Tempel nicht für Lahanna erbaut worden!«, erklärte er nun
gereizt. »Sie hat unsere Toten gestohlen, und wir müssen sie zurückfordern.«
»Lahanna hat die Toten gestohlen?«, fragte Saban, verwirrt
über diese seltsame Vorstellung.
»Natürlich!«, schrie Camaban und wandte Saban sein
schaurig gestreiftes Gesicht zu. »Wieso habe ich das nicht schon viel eher
erkannt? Was passiert, wenn wir sterben? Wir gehen natürlich in den Himmel, um
mit den Göttern zu leben - aber zu Lahanna! Sie stiehlt unsere Toten. Wir
sind wie Kinder ohne Eltern.« Es schauderte ihn. »Ich habe einmal einen Mann
getroffen, der glaubte, dass die Toten nirgendwo hingehen, dass sie in den bodenlosen
Abgründen zwischen den Sternen umherirren, und den habe ich damals ausgelacht.
Aber vielleicht hatte er Recht! Als ich in dem Haus der Toten mit all den
Gebeinen um mich herum saß, habe ich die Toten von Ratharryn nach mir rufen
hören. Sie wollen gerettet werden, Saban, sie wollen wieder mit Slaol vereint
sein! Wir müssen sie retten! Wir müssen sie wieder in das Licht zurückholen!«
»Du musst etwas essen«, mahnte Aurenna.
»Nein, ich muss gehen«, erwiderte Camaban. Er blickte
Saban abermals an. »Haben sie schon angefangen, den Tempel in Ratharryn
aufzubauen?«
»Ja, das hat Lewydd berichtet«, bestätigte Saban.
»Wir müssen den Tempel ändern«, ordnete Camaban an. »Er
braucht ein Totenhaus. Du und ich werden ihn neu errichten. Kein Hügel
natürlich. In diesem Punkt irren sich die Leute jenseits des Meeres. Aber es
muss ein Ort sein, der dafür geeignet ist, die Toten von Lahanna wegzulocken.«
»Du kannst den Tempel bauen«, äußerte Saban bestimmt,
»ich werde hier bleiben.«
»Das wirst du keineswegs!«, brüllte Camaban, und Aurenna
eilte durch die Hütte, um Lallic zu beruhigen, die zu weinen begonnen hatte.
Camaban wies mit einem knochigen Finger auf Saban. »Wie viele Steine müssen
noch geliefert werden?«
»Elf«, gab Saban Auskunft. »Genau
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