Cromwell, Bernard
diese Pfosten zu starren, während er
in Gedanken Muster vor sich sah.
Am Ende gab es nur noch zwei Pfosten. Der eine war doppelt
so groß wie ein Mann und der andere noch einmal doppelt so lang - sie standen
in einer Linie nach der Stelle hin ausgerichtet, wo am Tag der Sommersonnenwende
die Sonne aufging: der längere Pfahl hinter dem Mutterstein und der kürzere
näher am Tempeleingang. Als sich der Winter seiner längsten Nacht näherte,
ging Camaban jeden Abend zu dem Tempel und starrte auf die dünnen Pfosten, die
in dem eisigen Wind zu zittern schienen.
Der Tag der Wintersonnenwende kam. Es war bisher immer ein
Zeitpunkt gewesen, an dem das Gebrüll der Rinder zu hören war, während sie
geopfert wurden, um der Sonne zu neuer Kraft zu verhelfen; aber Haragg wollte
kein solches Abschlachten im Tempel mehr dulden, und so tanzte und sang der
Stamm ohne den Geruch von frischem Blut in der Nase. Einige Leute murrten,
dass die Götter über Haraggs Zimperlichkeit erzürnt sein würden; sie
behaupteten, Opferungen seien notwendig, wenn das neue Jahr keine Plagen
bringen sollte, aber Camaban unterstützte Haragg. An diesem Abend, nachdem der
Stamm sein Klagelied an die sterbende Sonne gesungen hatte, hielt Camaban eine
Predigt vor den Leuten und erklärte, die alten Sitten und Gebräuche seien dem
Untergang geweiht: Wenn Ratharryn seinen Glauben erneuerte, dann würde der neue
Tempel sicherstellen, dass die Sonne nie wieder erlosch. Sie taten sich an
diesem Abend an Wildbret und Schweinefleisch gütlich und zündeten dann die
großen Feuer an, die Slaol am Morgen nach dem Tag der Wintersonnenwende wieder
näher zur Erde bringen würden.
An jenem Morgen fiel Schnee: nicht viel, aber genug, um
das höher gelegene Gelände mit einer weißen Decke zu überziehen, in der Camaban
Fußspuren hinterließ, als er zu dem Tempel wanderte. Er hatte darauf bestanden,
dass Saban ihn begleitete; die beiden Brüder waren in dicke Felle gehüllt, denn
es war bitterkalt, und ein scharfer Wind wehte von einem blassen Himmel,
gestreift mit dünnen, ausgefransten rosa Wolken. Die schweren Schneewolken
hatten sich gegen Mittag verzogen, und die Nachmittagssonne stand so tief, dass
die kleinen Buckel der mit Geröll zugeschütteten Steinlöcher Schatten auf den
Schnee warfen. Camaban starrte nachdenklich auf seine Doppelpfosten, schüttelte
jedoch gereizt den Kopf, als Saban sich nach ihrem Zweck erkundigte. Dann
wandte er sich um, um auf Gilans vier Mondsteine zu starren und auf die
paarweise angeordneten Pfeiler und Steinplatten, die den Weg zu Lahannas
weitesten Wanderungen wiesen. »Es ist an der Zeit«, sagte Camaban, »Lahanna zu
verzeihen.«
»Ihr zu verzeihen?«
»Wir haben gegen Cathallo gekämpft, damit endlich Frieden
herrscht«, erklärte Camaban, »und Slaol will Frieden unter den Göttern. Lahanna
hat gegen ihn rebelliert, aber den Kampf verloren. Wir haben gewonnen. Es ist
an der Zeit, ihr zu verzeihen.« Er blickte auf die fernen Wälder. »Glaubst du,
Derrewyn lebt noch?«
»Willst du ihr auch verzeihen?«, fragte Saban.
»Niemals«, erwiderte Camaban unnachsichtig.
»Der Winter wird sie umbringen«, meinte Saban.
»Es wird schon sehr viel mehr als ein Winter nötig sein,
um das Miststück umzubringen«, meinte Camaban grimmig. »Und während wir nach
Frieden streben, wird sie an irgendeinem finsteren und verborgenen Ort zu
Lahanna beten. Aber ich will nicht, dass Lahanna gegen uns ist, sondern sie
soll sich mit uns vereinigen. Es wird Zeit, dass sie wieder zu Slaol
zurückgeholt wird - deshalb lassen wir Lahannas vier Steine stehen, weil sie
ihr zeigen, dass sie zu Slaol gehört.«
»Tun sie das?«, fragte Saban.
Camaban lächelte. »Wenn du dich neben diesen Pfeiler da
stellen würdest«, sagte er und zeigte auf den nächsten Mondsteinpfeiler, »und
über den Kreis hinweg auf die Steinplatte blicken würdest, könntest du dann
sehen, wo Lahanna am Himmel wandert?«
»Ja«, erwiderte Saban, als er sich daran erinnerte, nach
welchem System Gilan die vier Mondsteine aufgestellt hatte.
»Aber was, wenn du auf die andere Steinplatte blickst?«,
fragte Camaban.
Saban runzelte die Stirn, weil er nicht verstand, worauf
Camaban hinauswollte; eifrig griff Camaban nach seinem Arm, zog ihn zu dem
Pfeiler und wies auf die große Steinplatte, die auf der gegenüberliegenden
Seite des Kreises stand. »Das ist die Stelle, wo Lahanna hinwandert, richtig?«
»Richtig«, bestätigte Saban.
Camaban drehte Saban herum, sodass
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