Cromwell, Bernard
Aussicht, »aber vorläufig bin ich Lahannas Priesterin,
und das ist mein Opfer.«
»Hat Camaban dir das eingeredet?«, fragte Saban erbittert.
»Ich habe es geträumt«, erklärte Aurenna fest. »Lahanna
kommt in meinem Träumen zu mir. Sie ist natürlich widerwillig, aber ich bin
geduldig mit ihr. Ich sehe sie als eine Frau, gekleidet in ein langes Gewand,
das leuchtet! Sie ist so schön, Saban! So wunderschön und so verletzt. Ich sehe
sie am Himmel, und ich rufe sie an, und manchmal hört sie mich. Wenn wir Slaol
zu dem Tempel bringen, wird sie zu uns kommen. Davon bin ich überzeugt.« Sie
lächelte, in der Erwartung, dass Saban ihre Freude teilen würde. »Aber bis zu
dem Tag«, fuhr sie fort, »müssen wir ruhig, gehorsam und gut sein.« Sie wandte
sich um und stellte die Frage an ihre Kinder: »Wie sollen wir sein?«
»Ruhig, gehorsam und gut«, antworteten sie im Chor.
Sie blickte wieder auf Saban zu. »Ich kann dich nicht
daran hindern, zur Hütte zu kommen«, sagte sie leise, »aber du wirst Lahanna
erschrecken, wenn du das tust - und dann wird der Tempel sinnlos sein.
Sinnlos!«
Saban ging zu Haragg, als er nach Ratharryn zurückkehrte,
und berichtete dem Hohepriester, was Aurenna gesagt hatte. Haragg hörte aufmerksam
zu, dachte eine Weile darüber nach und zuckte dann die Achseln. »Es ist der
Preis, den du zahlst«, meinte er, »und wir werden alle einen Preis für den
Tempel zahlen müssen. Dein Bruder wird von Visionen gequält, ich bin wieder zum
Priester gemacht worden, und du wirst Aurenna für eine Weile verlieren. Das
Gute fällt nicht vom Himmel, sondern man muss schon Opfer dafür bringen.«
»Dann sollte ich also nicht darauf bestehen, bei ihr zu
schlafen?«
»Nimm dir ein Sklavenmädchen«, erwiderte Haragg mit seiner
grimmigen Stimme. »Vergiss Aurenna. Sie muss vorläufig wirklich Lahannas
Einsamkeit teilen, und du musst einen Tempel bauen. Also nimm dir ein Sklavenmädchen
und vergiss deine Ehefrau. Und bau, Saban, bau einfach!«
Bevor Saban mit Bauen anfangen konnte, musste er jedoch
zuerst die Steine aus Cathallo fortschaffen. Auf dem direkten Weg konnte er sie
nicht nach Ratharryn befördern, weil dieser Weg durch die Sumpfgebiete bei
Maden führte und sich den steilen Hügel gleich südlich dieser Siedlung
hinaufwand - die großen Felsblöcke würden diese Hindernisse niemals nehmen;
deshalb verbrachte er den Sommer damit, nach einem besseren Weg zu suchen.
Saban bestand darauf, dass Leir ihn dabei begleiten sollte: Denn es wurde
Zeit, so setzte er Aurenna auseinander, dass der Junge lernte, wie man weit von
jeder Siedlung entfernt überlebte. Er und Leir durchstreiften das Land im
Westen auf der Suche nach einem Weg, der die Sumpfgebiete und die steilsten Hügel
mied. Ihre Erkundungen nahmen den größten Teil des Spätsommers ein; aber
schließlich entdeckte Saban einen Pfad, der aus Cathallo hinaus in Richtung der
untergehenden Sonne führte und dann einen großen Bogen machte, sodass sie
sich dem Himmelstempel von Westen her nähern würden.
Saban genoss Leirs Gesellschaft. Sie hielten wachsam nach
Ausgestoßenen Ausschau, sahen jedoch keine, denn diese Landschaft im Westen
gehörte zu den Gebieten, die häufig von Ratharryns Kriegern durchjagt wurde. Er
brachte Leir bei, wie man mit einem Bogen umging, und an ihrem letzten Tag schoss
Saban einen Spießbock und ließ seinen Sohn das Tier mit einem Speer töten. Der
Junge war durchaus eifrig, schien jedoch überrascht darüber, wie viel Kraft
nötig war, um das Fell des Bocks zu durchstechen. Er schaffte es, den wild
auskeilenden Hufen auszuweichen, und stach dem Tier die Bronzeklinge ins Herz;
weil es die erste Jagdbeute seines Sohnes war, schmierte Saban dem Jungen das
Blut des Spießbocks ins Gesicht.
»Wird der Bock wieder lebendig werden?«, fragte Leir
seinen Vater.
»Das glaube ich nicht«, verneinte Saban lächelnd. Er riss
das Fell vom Bauch des Tieres ab, dann zog er ein Messer, um die Muskeln zu
durchtrennen, die die Eingeweide umschlossen. »Wir werden das meiste von ihm
aufgegessen haben!«
»Mutter sagt, wir werden alle wieder zum Leben erwachen«,
sagte Leir ernst.
Saban lehnte sich auf die Fersen zurück. Seine Hände und
Handgelenke trieften vor Blut. »Sie sagt was?«
»Sie sagt, die Gräber werden sich leeren, wenn der Tempel
gebaut ist«, berichtete Leir. »Alle, die wir jemals geliebt haben, werden
wieder zum Leben erwachen. Das hat sie gesagt.«
Saban fragte sich, ob sein Sohn Aurennas Worte
Weitere Kostenlose Bücher