Cronin, Justin
der Kälte. Mit seiner Freundin. Mama wollte nicht aus dem Bett
kommen.
Er ging zur Haustür, aber sie war abgeschlossen,
und er läutete und rief dann zu den Fenstern hinauf. Keine Antwort. Er wusste
nicht, was er mit dem kleinen Mädchen anfangen sollte, das so allein da draußen
saß, aber es gab vieles, was er bei Leuten wie den Woods nicht verstand, und
nicht alles, was sie taten, ergab einen Sinn für ihn. Er konnte dem Mädchen nur
seinen schmutzigen alten Pullover geben. Sie nahm ihn und wickelte sich darin
ein wie in eine Wolldecke. Er machte sich an die Arbeit und mähte den Rasen; er
hoffte, der Lärm des Rasenmähers würde Mrs Wood aufwecken, und dann würde ihr
einfallen, dass ihr kleines Mädchen allein draußen auf der Terrasse war und
dass sie aus Versehen die Tür abgeschlossen hatte. Mr
Carter, ich weiß nicht, wie das passieren konnte, ich bin irgendwie
eingeschlafen, Gott sei Dank, dass Sie hier waren.
Er mähte den Rasen zu Ende, und das Mädchen saß
still mit seiner Puppe da und sah ihm zu, und dann holte er den Skimmer aus der
Garage, um den Pool zu reinigen. Und da fand er sie am Rande des Gartenwegs:
eine kleine Kröte. Nicht größer als ein Penny. Es war ein Glück, dass er sie
nicht mit dem Rasenmäher erwischt hatte. Er bückte sich und hob sie auf; sie
wog nichts in seiner Hand. Hätte er sie nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte
er gesagt, seine Hand sei leer, so leicht war sie. Vielleicht lag es daran,
dass das kleine Mädchen ihn von der Terrasse aus beobachtete oder dass Mrs Wood
im Haus hinter ihm schlief - aber in diesem Augenblick hatte er das Gefühl, die
kleine Kröte könnte alles irgendwie in Ordnung bringen, dieses winzige Ding da
im Gras.
Komm mal her, sagte er zu dem Kind. Komm her,
ich muss dir was zeigen. Ein kleines Baby, Miss Haley. Ein kleines Ding wie du.
Er drehte sich um und sah Mrs Wood; sie stand
hinter ihm im Garten keine drei Schritte entfernt. Sie musste zur Vordertür
herausgekommen sein, denn er hatte nichts gehört. Sie trug ein großes T-Shirt,
wie ein Nachthemd, und ihr Haar stand wirr um den Kopf herum.
Mrs Wood, sagte er, da sind Sie ja, schön, dass
Sie auf sind. Ich zeige Haley gerade eine -
Gehen Sie weg von ihr!
Aber das war nicht Mrs Wood, nicht die, die er
kannte. Ihr Blick war wild und verrückt. Sie sah aus, als wüsste sie nicht, wer
sie war. Mrs Wood, ich will ihr doch nur was Schönes - Gehen
Sie weg! Weg! Lauf, Haley, lauf!
Und bevor er noch ein Wort sagen konnte, gab sie
ihm einen Stoß, mit aller Kraft. Er stolperte rückwärts und blieb mit dem Fuß
an dem Skimmer hängen, den er am Pool liegen gelassen hatte. Reflexhaft
streckte er die Hand aus, und seine Finger krallten sich in ihr T-Shirt. Er
spürte, wie sein Gewicht sie mitriss, und er konnte nichts mehr tun. So fielen
sie ins Wasser.
Das Wasser. Es traf ihn wie eine Faust und
füllte seine Nase und seine Augen und seinen Mund mit einem scheußlichen
Chemikaliengeschmack wie der Atem eines Dämonen. Sie war unter und über ihm
und um ihn herum, als sie untergingen, und ihre Arme und Beine verhedderten
sich ineinander wie in einem Netz. Er wollte sich befreien, doch sie hielt ihn
fest und zog ihn immer weiter hinunter. Er konnte nicht schwimmen, keinen
einzigen Zug; er konnte irgendwie daherdümpeln, wenn es sein musste, aber
selbst das machte ihm Angst, und er hatte nicht die Kraft, sie mitzuziehen. Er
reckte den Kopf, um an die glänzende Wasseroberfläche zu gelangen, wo die Luft
anfing, aber sie hätte ebenso gut eine Meile weit weg sein können. Die Frau zog
ihn hinunter in eine Welt der Stille, als wäre der Pool ein umgedrehtes Stück
Himmel - und da kapierte er es: Genau dahin wollte sie. Dahin hatte sie die
ganze Zeit gewollt, seit jenem Tag unter der Autobahnüberführung, als sie
angehalten und nach seinem Namen gefragt hatte. Was immer sie in der anderen
Welt, in der dort über dem Wasser, gehalten haben mochte, jetzt war es endlich
gerissen wie die Schnur eines Windvogels. Die Welt stand auf dem Kopf, und
jetzt stürzte der Windvogel ab. Sie zog ihn in ihre Arme, drückte ihr Kinn an
seine Schulter, und eine Sekunde lang sah er ihre Augen in den Strudeln des
Wassers, sah die furchtbare, endgültige Dunkelheit darin. O bitte, lassen Sie
mich doch. Ich sterbe, wenn Sie wollen, dachte er, ich sterbe für Sie, wenn
Sie mich darum bitten. Lassen Sie mich an Ihrer Stelle sterben. Er brauchte nur
einzuatmen. Das wusste er so genau, wie er seinen eigenen Namen kannte.
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