Crossfire 1: Kontakt
sich
ebenfalls schuldig. »Wie sind sie nur alle durch die
Überprüfung gekommen?«, murmelte er. »Hast du Nan
Frayne gefragt?«
Gail widersprach dem Verdacht nicht, der zwischen seinen Worten
versteckt war. Lucy ging taktvoll ein Stück weit weg,
außer Hörweite. »Dr. Shipley hatte Recht. Scherer
hatte vor unserer Überprüfung alles vorbereitet
für… für die Erneuerung, doch sie wurde erst danach
vorgenommen, kurz vor dem Start von der Erde. Das Klonen war bereits
Jahre vorher erfolgt, als Müller und Josef Gluck, die
Jüngsten unter seinen Soldaten, kaum erwachsen waren. Scherer
hat unter ihren Vätern gedient. Es war ein Pakt über die
Generationen hinweg.«
»Wie haben sie es finanziert?«, fragte Jake.
»Das weiß Nan nicht. Wo auch immer das Geld herkam,
Scherer hat seine Herkunft sehr sorgfältig vertuscht. Um ehrlich
zu sein, ich bin sogar überrascht darüber, dass man in
unserem vernetzten Zeitalter solche Reichtümer überhaupt
heimlich horten kann.«
Oh, es ist möglich, dachte Jake. Er achtete
sorgfältig darauf, dass sein Gesicht nichts von seinen Gedanken
verriet. »Wie hat Nan davon erfahren?«
Gail blickte kurz beiseite. »Im Gefängnis. Eine
Zufallsbekanntschaft. Sie hat eine bewegte Vergangenheit.«
»Gail, weißt du wirklich, was du da tust? Ich meine die
Sache mit Nan.«
»Natürlich weiß ich das nicht!«, fuhr Gail
ihn an. »Wie kommst du darauf, dass irgendjemand von uns
weiß, was er tut? Wir werden hier von Außerirdischen
überrannt, während wir einfach nur versuchen, auf einem
fremden Planeten zu überleben. – Das erinnert mich an
etwas: Thekla hat Schwierigkeiten mit dem genveränderten Weizen.
Sie wollte dich sprechen.«
Jake stellte fest, dass er sich darauf freute, Thekla in der
Pflanzenzucht von Mira City anzufunken. Das erweckte beinahe den
Eindruck von Normalität. Beinahe.
18. KAPITEL
Shipley war nach dem Spaziergang mit Franz Müller noch
besorgter als zuvor. Der Soldat hatte darauf bestanden, eine Waffe
mitzunehmen und ständig in Sichtweite des Raumboots zu bleiben.
Dementsprechend beschränkte sich der Spaziergang auf einen
großen Halbkreis, und Franz konzentrierte sich mehr auf die
Außerirdischen als auf das Gespräch.
Nur einmal hatte Shipley den Eindruck, Franz’ ungeteilte
Aufmerksamkeit zu haben. Das war, als er ruhig feststellte: »Du
wolltest die geklonten Organe nicht, oder?«
»Doch, ich wollte!«, widersprach Franz mit fester
Stimme. Im nächsten Augenblick wurde sie wieder tonlos.
»Hauptmann Scherer schuf den Klon für mich. Mein Vater und
Hauptmann Scherer. Ich war erst neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Mein
Vater kommandierte die Einheit, in der Scherer diente. Scherer
rettete meinem Vater das Leben, in den Kämpfen um Rio de
Janeiro… Sie erinnern sich an die Kämpfe in Rio?«
»Ich habe davon gelesen«, antwortete Shipley.
Hungeraufstände, so gewalttätig und brutal, wie
Straßenkämpfe nur sein konnten. Es war schlimm genug
gewesen, davon zu lesen. Wie musste es erst gewesen sein, das zu
erleben?
»Sie schworen einen Blutpakt«, fuhr Müller
fort. »Alle, die nach den Kämpfen noch am Leben waren,
schworen ihn.«
Shipley nickte. Solche Eide waren weit verbreitet –
verbreitet gewesen – auf der Erde, die die Ariel verlassen hatte. Die Absicht war stets die gleiche: In einem
auseinander brechenden, einsamen Jahrhundert, in dem durch die
Globalisierung die Bindungen durch Familie oder Religionen kaum noch
vorhanden waren, bedeutete ein Blutpakt bedingungslose
Loyalität. Er sicherte einem Menschen die Unterstützung und
den Schutz, die Kameradschaft und die Treue der anderen, egal, was
geschah. Die Mitglieder eines solchen Paktes wohnten nahe zusammen
und kümmerten sich umeinander. Sie waren so, wie eine
Gemeinschaft sein sollte und vielleicht einmal gewesen war.
War eine Gemeinde der Neuen Quäker nicht bloß eine
sanftere Variante des Blutpakts, auf andere Weise
zusammengehalten?
Nein. Die neuen Quäker erschufen keine unschuldigen geklonten
menschlichen Wesen, zogen sie auf und ermordeten sie dann, um das
eigene Leben zu verlängern.
»Franz, du hättest den Blutpakt halten können, ohne
dich erneuern zu lassen.«
Er antwortete nicht und hielt den Blick starr auf das
außerirdische Raumboot gerichtet.
»Du fühlst dich furchtbar, weil du Hauptmann Scherer
erschossen hast«, sagte Shipley. »Fühlst du dich nicht
ebenfalls furchtbar, weil dein Klon getötet wurde?«
»Nein. Ein Klon ist kein Mensch, es ist ein
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