Crossfire 2: Feuerprobe
den
Ranken und zugleich vollkommen fremd.
Sie befanden sich in einem großen runden Raum von vielleicht
einhundert Metern Durchmesser. Das Schiff war, wie Karim diesmal
erkannte, ein verkleinertes Abbild des Rankenplaneten. Schaumiger
Schleim wie der in der Grube bedeckte den gesamten Boden, kroch die
Wände hoch und über die Decke. Schweigende Ranken, kleiner
als diejenigen auf dem Planeten, wuchsen in kleinen Hainen
beieinander, ihre Zweige oder Tentakel miteinander verflochten.
Ausläufer führten durch den Schleim und verbanden die
einzelnen Rankendickichte. Das Licht war sehr hell und die Luft
drückend heiß und feucht.
Dicht bei der Luftschleuse hatte der Schleim einen kleinen Flecken
des Metallbodens frei gelassen. Er wirkte zerfressen und korrodiert.
Hier saßen die Menschen, neben dem Übersetzer-Ei –
dem, das Karim in die Grube geworfen hatte, oder einem anderen. Im
Gegensatz zu ihren Verwandten auf dem Planeten waren diese Ranken
sehr daran interessiert, Englisch zu lernen. Karim vermutete, dass
sie für die Reise durchs All verändert worden waren. Er und
Lucy durchliefen noch einmal das ganze ermüdende Prozedere,
sprachen tagelang in den Übersetzer, um ihm genug Wortschatz und
Grammatik zu vermitteln.
»Wenn wir Greentrees erreichen«, sagte der
Übersetzer, »sind unsere Abschiedsknospen auf
Greentrees?« Das eiförmige Gerät sprach vollkommen
emotionslos. Nichts schwang in dieser mechanischen Stimme mit, das
die Sorge verriet, die die Ranken dazu brachte, dieselbe Frage wieder
und wieder zu stellen.
»Ja«, erklärte Karim, »eure Abschiedsknospen
sind auf Greentrees.« Er betete zu Allah, dass das
tatsächlich so war. Wie viel relativistisch verschobene Zeit war
auf Greentrees vergangen? Hatten Jake und Shipley die
Abschiedsknospen gut aufbewahrt?
Das musste so sein. Was würden die Ranken tun, wenn es nicht
so war?
Tage vergingen, dann Wochen. Das Schiff kannte keine
künstliche Nacht, und so wurde es drinnen niemals dunkel. Sie
bewegten sich mit maximaler Beschleunigung – Karim erkannte das
an der Wölbung des Bodens, die notwendig war, um die
Gezeitenkräfte auszugleichen. Nun würde es nicht mehr lange
dauern, bis er und Lucy wieder über einen Planeten mit Farben
und Geräuschen und Bewegung wandeln würden! Wo Vögel
über ihnen ihre Kreise zogen, Flüsse dahinströmten und
Nachtinsekten summten… Weshalb hatte er früher nie erkannt,
wie lebendig Greentrees war, wie kostbar und farbenfroh!
Das Schiff hielt an.
Karim merkte es nur daran, dass der Boden sichtlich ebener wurde.
Er schüttelte Lucy, die auf dem schleimfreien Metallstreifen
schlief. »Wach auf! Wir sind zu Hause!«
»Wir sind noch nicht bei Greentrees angekommen«,
erklärte der Übersetzer.
»Nicht… bei Greentrees? Wo sind wir?«
»Ein, zwei Planeten von Greentrees entfernt. Wir schauen
erst.«
Das klang vernünftig. Wenn das Schiff beschleunigte, erzeugte
der Antrieb eine Plasmawolke, in der die Sensoren nicht
funktionierten. Das Schiff flog blind. Natürlich würden die
Ranken erst einmal die Lage auskundschaften wollen, ehe sie dichter
heranflogen.
»Da ist ein feindliches Schiff in einer Umlaufbahn um
Greentrees«, verkündete der Übersetzer.
Furcht ergriff Karim. Und dann erinnerte er sich. »Nein, das
ist unser Schiff, die Ranke Beta. Ich meine, es war ein Schiff
der Pelzlinge, aber wir haben es gekapert. Genau wie wir das andere
Schiff gekapert haben, das ihr zerstört habt. So wie ihr auch
die Schiffe der Pelzlinge aufbringt!«
»Da sind zwei Schiffe auf unterschiedlichen Umlaufbahnen um
Greentrees. Eines ist anders.«
Zwei Schiffe?
»Wie anders?«
Der Übersetzer gab keine Antwort.
»Karim…«, sagte Lucy, und dann, an den
Übersetzer gewandt: »Ist das ebenfalls ein Schiff der
Pelzlinge? Euer Feind?«
»Das wissen wir nicht.«
»Was werdet ihr tun?«, brachte Karim hervor.
Es kam keine Antwort, eine ganze Weile lang nicht. Die Ranken
dachten nach – oder auch der Schleim oder eine rätselhafte
Verbindung zwischen den beiden.
Schließlich beschleunigte das Schiff. Die Ranken antworteten
auch nicht, als Karim und Lucy erneut um Erklärungen baten. Kurz
darauf hielt das Schiff wieder an.
Karim konnte die Augen nicht mehr offen halten. Dabei war er erst
vor wenigen Stunden aufgewacht, und er hatte gut geschlafen. Er war
nicht müde. Aber ganz plötzlich fühlte er sich seltsam
benommen. Bevor er einschlief, erkannte er gerade noch, dass er
betäubt wurde. Er hörte, wie die ausdruckslose
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