Crossfire 2: Feuerprobe
Dass sich das Gute und das Schlechte so sehr miteinander
verwirrten, dass man sie nicht mehr auseinander halten konnte?
»Einen solchen Tag, so schlimm und schön zugleich,
hab ich noch nicht erlebt…« Alex war überrascht,
dass auf einmal wieder die Worte aus Duncans Theaterstück in
ihrem Geist nachhallten. Als sie Duncan davon erzählte,
verdrehte er die Augen und entgegnete: »Meine liebe Alexandra,
bitte blamieren Sie sich nicht so, indem Sie Ihre Unwissenheit
über die zeitlosen Weisheiten des Barden so offen
hinausposaunen. Behalten Sie es lieber schicklich für
sich.«
Julian machte auch nach dem offiziellen Abschluss der
zweitägigen »Versammlung« einen gelassenen und ruhigen
Eindruck. »Im Laufe der Zeit wird das Gerede
aufhören«, sagte er nur. Er gestattete es MiraNet, die
Arbeit wieder aufzunehmen.
Auch überall sonst ging die Arbeit weiter, der Bergbau, die
Forschung, die Landwirtschaft und Hunderte von anderen
Tätigkeiten. Alex’ Arbeitstage wurden länger. Die
Nächte verbrachte sie mit Julian. Die Leidenschaft zwischen
ihnen war so glühend wie zuvor, und mitunter, wenn sie den Arm
um seinen festen, muskulösen Leib schlang, kurz bevor sie
einschlief, dann dachte sie: Das ist Glück!
Aber gleichzeitig war eine gewisse Distanz zwischen ihnen, die
vorher nicht da gewesen war. Er wartete stets, bis sie eingeschlafen
war, bevor er sie verließ. Er selbst benötigte so gut wie
keinen Schlaf. Er ging zurück in sein Büro, um dort zu
arbeiten, wie er ihr erzählte. Wenn sie aufwachte, war sie stets
allein.
Es gab eine Gedenkfeier für Mary Pesci, Mesbah Shanab und
Suriah Poliakis. Ganz Mira, so hatte es den Anschein, war bei der
Zeremonie zugegen. Ashraf hielt eine Rede und nannte die drei
»unsere ersten Märtyrer«. Alex sah, wie Jake bei
diesen Worten seine alten Augen erschrocken aufriss.
»Sie erinnern sich nicht mehr an Erik Halberg. Nicht einmal
mehr an Ranke Beta!«, zischelte er Alex zu.
»Anscheinend sind wir nicht sehr gut darin, uns zu
erinnern«, stellte sie trocken fest. Erst später erkannte
sie, dass sie und Jake unterschiedliche Pronomen verwendet
hatten.
Eines Tages fuhr Alex ohne Julian los, um sich in Hope of Heaven
umzuschauen. Die abtrünnige Siedlung wirkte immer noch
weitgehend verlassen. Aus der Ferne konnte Alex einige Gestalten
ausmachen, die aber in den Häusern verschwanden, sobald sie
ihrer ansichtig wurden. Unkraut wucherte in den Blumenbeeten. Die
niedergebrannten Häuser waren nicht wieder aufgebaut worden.
Geschwärzte Balken lagen zwischen den Trümmern. Schutt,
vermutlich von Plünderern zurückgelassen, wehte durch die
Straßen.
Wohin waren sie gegangen, diese leidenschaftlichen und
fehlgeleiteten jungen Leute, die so viel Leid verursacht hatten? Sie
wanderten stetig nach Norden in die Wildnis. Niemand hatte
Funksprüche von ihnen erhalten, zumindest niemand, den Alex
kannte. Es war so eine große unberührte Welt. Hatten sich
die Rebellen wieder mit Wong Yat-Shing vereint? Schufen sie sich
irgendwo jene Gerechtigkeit, die Mira City ihnen ihrem Empfinden nach
verwehrte?
Als Julian herausfand, dass Alex allein und unbewacht in Hope of
Heaven gewesen war, war er so außer sich, wie sie ihn noch nie
erlebt hatte. »Selbst ein einzelner Rebell, der
zurückgeblieben ist, hätte dich töten können,
einfach nur aus Genugtuung! Du warst nicht einmal
bewaffnet!«
»Ich…«
»Ich ersetze deinen Leibwächter!«, ließ er
sie kühl wissen, und sie widersprach ihm nicht. Sein Zorn war
ein Beweis dafür, wie sehr er sich um ihr Leben sorgte. Sie
glaubte keinesfalls, dass sie sich in Gefahr begeben hatte, aber sie
schätzte seine Sorge. Alex streckte den Arm aus und
berührte ihn zärtlich an der Schulter. Er bedeutete ihr so
viel und war auch ansonsten ein bewundernswerter Mann: brillant und
erfahren, und stets arbeitete er zum Wohle Mira Citys. Und er hatte
sie auserwählt, unter all den Frauen, die er hätte haben
können – und das waren die meisten weiblichen Wesen
außerhalb der Medina.
Spontan drückte sie sich an ihn und küsste ihn auf seine
warmen Lippen.
Was für ein Glück für Mira, dass es ihn hatte. Was
für ein Glück für Alex, dass sie ihn hatte. Und er
hatte Recht: Die kritischen Stimmen gegen ihn verstummten
allmählich.
Alles würde gut werden.
18. KAPITEL
IN DEN AVERY MOUNTAINS
Nach einer Zeitspanne, die Karim auf mehrere Tage schätzte,
ließ das Hungergefühl bei ihm und Lucy nach. Sie sahen
fasziniert zu, wie Greentrees
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