Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
Geröllhalde liegen geblieben – Hände und Füße in Form eines Andreaskreuzes von sich gestreckt. Die Faktenlage deutete auf zwei mögliche Szenarien hin: entweder war Dirrigl aus purem Übermut an der Hangkante herumgeturnt oder er hatte dort bewusst den Tod gesucht! Beide Varianten erschienen ihm höchst unwahrscheinlich. Wie immer wenn er angespannt oder mit sich uneins war, kaute er auf der Kappe eines Filzstifts herum. Was war auf dem Weg zum Scheißhaus passiert? Hatte man Dirrigl überfallen, betäubt und zum Abgrund geschleppt? Doch dann hätte die Kripo Kampf- oder Schleifspuren entdecken müssen. Und was wenn er freiwillig mitgegangen war? Ein Selbstmord war jedenfalls auszuschließen: Dominikus war ein knallharter Typ mit dem Gemüt eines Fleischerhunds. Einer der weder Skrupel noch Schuldgefühle kannte und notfalls über Leichen ging. So jemand brachte sich nicht selbst um. Der Cursor blinkte in einschläfernder Monotonie, auf ein Zeichen, auf ein Wort wartend. Welches Drama mochte sich dort oben abgespielt haben? Was hatte Dirrigl in solche Panik versetzt? Ein Engel in Menschengestalt?
     
                Punkt! Aus, Amen! Die Titelstory war im Kasten. Das befreiende Gefühl seinen Job mit Bravour erledigt zu haben, ließ ihn erleichtert aufseufzen. Der Text hatte Biss, hatte Stil und Struktur. Die Headline sprang ins Auge, stellte plakativ wie provokativ die X-Frage:
                „Der Fall des Hochwürden: War es Mord?“
                Das hatte Pfiff, das zeugte von kreativem Kalkül! Hochgemut stopfte er den Ausdruck in das aus allen Nähten platzende Aktenköfferchen und sperrte sein Büro hinter sich ab. Leichtfüßig eilte Simon durch die von trübsinnig vor sich hinflackernden Neonröhren beleuchteten Korridore, nahm den Fahrstuhl hinab in die Tiefgarage und entriegelte per Knopfdruck die Türen seines Rost-Rovers. Er deponierte den Koffer auf der Rückbank und fuhr los. Simon erreichte die Ausfallstraße zur Autobahn und drückte auf die Tube. Der Diesel schnurrte wie ein fetter Kater auf der Ofenbank. An der Ausfahrt Erchtenhall-Nord bog er rechts ab und nahm die Straße nach Törlwang. Vergnügt vor sich hin pfeifend kurbelte er das Seitenfenster herunter und genoss die frische Landluft in vollen Zügen. Das Asphaltband wand sich in sachten Serpentinen den Hang hinauf. Spitzkehre um Spitzkehre weitete sich der Blick auf die Bergriesen mit ihren glitzernden Halskrausen aus Eis und Firn. Ein weißliches, milchiges Licht zeichnete die schroffen Schrunden und schartigen Schrägen weich. In unregelmäßigen Abständen zweigten schmale Nebensträßchen nach Flechting, Riemerling oder Stierling ab. Winzige Weiler und Einödhöfe, die mit dem kargen, kümmerlichen Boden fest verwurzelt waren. Orte an denen das bäuerliche Leben zwischen Kaminstube und Kuhstall seit Jahrhunderten in ruhigen, gleichförmigen Bahnen verlief. Hier hielt man noch auf Brauchtum und Tradition. So war er jedes Frühjahr beim Högel-Hoagert im Törlwanger Kirchenwirt und lauschte den musikalischen Darbietungen von Saitenzupfern, Jodeljüngern und Gstanzlgrößen. Seine jeweiligen Berichte fürs „Feuilleton“ glichen sich wie ein Ei dem anderen: er hob die Bedeutung einer lebendigen bäuerlichen Musikkultur hervor und lobte die Stimmgewalt und Originalität von Interpreten wie der „Hinterhamer Hackbrettmusik“, des „Stierlinger Sextetts“ oder des „Zackinger Zwiegesangs“ über den Klee. Inzwischen besaß er eine ganze Sammlung von „Hoagascht“-Samplern mit Zitter- und Stubenmusik. Doch jetzt, wo er gerade Lust auf traute, alpenländische Klänge verspürte, hatte er keine CD der „Hintersteiner Musikanten“ oder des „Niederinger Almtrios“ zur Hand:
                „Fix. Wenn ich einmal was Bayerisches hören will!“
                Simon hantierte an den Knöpfen und Reglern des Autoradios. Das atmosphärische Rauschen verdichtete sich zum Krakeele eines kreuzfidelen Naturburschen:
                „Grüß euch miteinander! Ich bin der Willy Walcher. Wie jeden Freitag um Fünf heißt es auf V 1 – die Nummer Eins im Virgilswinkel: Moll meets Dur - Forum Kultur! Zu Gast im Studio …“
                Simon war gewiss kein Schöngeist und Kulturbourgeois par excellence. Doch es gab gewisse Grenzen des guten Geschmacks: Der „wilde Willy“ lag deutlich darunter.
     
    Simon beugte sich vor, um den talgigen Talk-Trottel den Saft

Weitere Kostenlose Bücher