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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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die Schreckensphantasien sexuell stimulierten, ihn in wollüstige Ekstase versetzten. Als „Visionär“ konnte er sein eigenes mickriges Ego auf die Figur des Weltenrichters projizieren und in den Überlegenheitsgefühlen einer imaginierten Allmacht schwelgen. Pio hatte immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich gerade die sinnlichen Männer vor den Frauen fürchteten und sich für ein asketisches Ideal begeisterten. Sie kasteiten ihren Leib um ihre dionysischen Gelüste und erotomanischen Begierden zu unterdrücken. Egid war ein Opfer seiner Selbsttäuschungen geworden und hatte im Wechselbad apokalyptischer Höhen und sadomasochistischer Tiefen jegliches Maß und Ziel verloren. Wie auch immer – die Geschichte war gegessen. Mit einem unbestimmten Lächeln knüllte Pio die Zeitung zusammen und warf sie achtlos in den Papierkorb. Er verließ das Zimmer, bog in einen langen, nur spärlich erleuchteten Gang und beschleunigte seine Schritte. Der Gedanke an den „Schatz“ krallte sich in ihm fest. Sternsteiner hatte die Frage nach dem Motiv nur gestreift: die luziferischen Templerbrüder hätten nach einem verschollenen Pergament gesucht, dass einen Hinweis auf den Aufbewahrungsort eines Objekts von magischer Macht, dem Abendmahlskelch, enthielt. Ausnahmsweise lag er damit gar nicht mal so falsch. Seine Spekulationen gingen nur in die falsche Richtung und verliefen sich in einem labyrinthischen Irrgarten. Es war alles viel einfacher! Der Führer war ein eifriger, wenn auch unkritischer Sammler sektiererischer Schriften gewesen. Seine Einkäufer waren plumpen Fälschern und gewieften Schaumschlägern auf den Leim gegangen, hatten sich zuhauf Schund- und Schmähschriften aus der Zeit der Aufklärung andrehen lassen. Als „okkulte Geheimschrift“ oder „häretisches Handorakel“ deklariert waren sie dann in der Berghof-Bibliothek gelandet. Aus Gasparinis Dossier wusste er, dass auch die wenigen, mittelalterlichen „Originale“ Fälschungen waren, die im 14. Jahrhundert von abtrünnigen Mendikanten, fahnenflüchtigen Kutten-Kujaus „kopiert“ worden waren. Die unter Titeln wie die „Vatizinien des heiligen Petrus“ oder die „Epistel des Apostel Thomas“ verbreiteten, propagandistischen Machwerke dienten einzig und allein dazu die Position des Papstes zu schwächen und gegen den „Antichristen von Avignon“ zu hetzen. Der Fratizellen-Fraktion im Dienste des mit dem Papst verfeindeten Kaisers war damals jedes Mittel Recht gewesen, um die Fundamente des heiligen Stuhls zu unterminieren. Ein schmales, unscheinbares Bändchen jedoch war von ganz anderem Kaliber. Ein Buch, dass den Bücherhäschern durch puren Zufall in einer Abtei im Süden Frankreichs ins Netz gegangen war: der Judas-Codex.
     
    Pantha rhei. Alles fließt. Pio saß in einer von Heckenrosen umrankten Laube im ehemaligen Prälatengarten. Er genoss die milde Mittagssonne, die den Morgennebel zerstäubt hatte. In der Mitte des Gartenparterres plätscherte ein Springbrunnen, der von einem sich wie im erotischen Tanz wiegenden Nymphenpaar bekränzt wurde. Die Bronzehaut der Nymphchen hatte über die Jahrhunderte jedoch merklich Patina angesetzt. Es war wohl ein unwandelbares Gesetz der Natur: mit den Jahren kam Rost ins Getriebe, verblassten die Erinnerungen, verblichen die Seiten der Annalen und Almanache. Die jüngsten Tage des Tausendjährigen Reichs hatten sich ihm indes unauslöschlich ins Gedächtnis gestanzt: Überdeutlich erinnerte sich Pio an jede Einzelheit, er hatte den penetranten Blut- und Brandgeruch in der Nase, hatte das ängstliche Gebrüll, die gellenden Schreie, das Röcheln und Stöhnen im Ohr, trug die mürbe machende, bleierne Angst im Herzen. Wie durch ein Wunder – oder war es göttliche Fügung - hatte er als einziger den Angriff überlebt ohne einen einzigen Kratzer abzubekommen. Vor Angst schlotternd war er aus der von Latschenkiefern überwucherten Erdmulde gekrochen und hatte wie paralysiert aufs Zifferblatt seiner Uhr gestarrt. Ein Schweizer Fabrikat, eine Jäger-Lecoultre mit Edelstahlgehäuse, Präzisionsuhrwerk und wasserdichtem Uhrglas, die er von seinem Patenonkel zur Firmung geschenkt bekommen hatte. Pio erinnerte sich noch heute - 60 Jahre danach - dass er sich gewundert hatte, wie schnell das Ende kommen konnte. Um ihn herum verstreut lagen unnatürlich verrenkte, leblose Körper. Er rief, er schrie – nach Guntram, nach Ulf, nach Otto - doch es kam keine Antwort. Der ganze Trupp war von den Garben der

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