Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Arme, spähte in meine Achselhöhlen, rammte die Finger hinein und tastete meinen Hals nach geschwollenen Lymphdrüsen ab. Ich kannte das Programm. Dann die Hand zwischen die Beine, schnell, geübt. Dort fühle man die Temperatur am besten, sagte sie immer. Dann fuhr sie mit ihren kühlen Fingern an meinen Beinen hinab und bohrte den Daumen direkt in die offene Wunde am Knöchel. Vor meinen Augen explodierten grüne Blitze, und ich riss unwillkürlich die Beine hoch, drehte mich auf die Seite. Dies nutzte sie, um meinen Kopf zu betasten, bis sie die zermatschte Stelle obendrauf entdeckte.
»Noch einen Moment, Camille, dann sind wir fertig.« Sie gab Alkohol auf die Tücher und schrubbte an meinem Knöchel herum, bis ich Rotz und Wasser heulte. Sie umwickelte ihn mit Gaze, die sie mit einer winzigen Schere aus dem Kosmetiktäschchen abtrennte. Die Gaze blutete sofort durch und sah aus wie die japanische Flagge. Danach drückte sie meinen Kopf nach vorn, und ich spürte ein Ziehen, als wollte sie mir die Haare ausreißen. Sie schnitt sie um die Wunde herum ab. Ich wollte nur noch weg.
»Pass auf, Camille, sonst schneide ich dich. Sei brav, leg dich wieder hin.« Mit ihrer kühlen Hand drückte sie meinen Kopf aufs Kissen und sägte schnipp-schnapp durch meine Haare, bis ich eine gewisse Befreiung verspürte. Ein eigenartiges Gefühl, meine Kopfhaut war nicht an frische Luft gewöhnt. Ich griff nach hinten und entdeckte eine stoppelige Stelle, groß wie ein halber Dollar. Meine Mutter zog meine Hand weg, hielt sie fest und betupfte die Kopfhaut mit Alkohol. Vor Schmerz blieb mir wieder die Luft weg.
Sie drehte mich auf den Rücken und wusch mich mit einem feuchten Lappen, als wäre ich bettlägerig. Ihre Augen waren rosa. Sie hatte wieder Wimpern gezupft; ihre Wangen waren mädchenhaft gerötet. Sie wühlte in ihrem Kosmetikkoffer zwischen Pillendöschen und Tuben, bis sie ein gefaltetes, leicht fleckiges Taschentuch hervorzauberte und eine neonblaue Pille auswickelte.
»Eine Sekunde, Liebes.«
Ich hörte ihre energischen Schritte auf der Treppe, ab in die Küche. Dann kam sie mit einem Glas Milch zurück.
»Hier, Camille, nimm sie damit.«
»Was ist
das
?«
»Medizin. Damit es sich nicht entzündet. Und es schwemmt die Bakterien heraus.«
»Was ist das?«, wiederholte ich.
Rote Flecken erblühten auf ihrer Brust, ihr Lächeln flackerte wie eine Kerze im Wind. An, aus, an, aus, in Sekundenschnelle.
»Camille, ich bin deine Mutter, du bist in meinem Haus.« Glasige, gerötete Augen. Ich wandte mich ab, kämpfte erneut gegen die Panik. Etwas Schlimmes, das ich getan hatte.
»Camille. Aufmachen.« Schmeichelnd, lockend.
Krankenschwester
pochte an meiner linken Achselhöhle.
Als Kind hatte ich mich gegen die ganzen Tabletten und Arzneien gewehrt und Adora auf diese Weise gegen mich aufgebracht. Sie erinnerte mich an Amma und ihr Ecstasy, wie sie mich jammernd drängte, ihr Angebot anzunehmen. Sich zu weigern ist sehr viel folgenschwerer, als zu gehorchen. Meine Haut brannte vom Alkohol. Es war ähnlich befriedigend wie die Hitze, die ich nach einem Schnitt verspürte. Ich dachte an Amma, wie sie sich zufrieden in die Arme meiner Mutter kuschelte, verschwitzt und zerbrechlich.
Ich drehte mich um, ließ mir die Pille auf die Zunge legen, die dicke Milch in den Mund gießen und ließ es zu, dass sie mich küsste.
Nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen, mein stinkender Atem wogte wie saurer Nebel durch meine Träume. Meine Mutter kam in mein Zimmer und sagte, ich sei krank. Sie legte sich auf mich und drückte ihren Mund auf meinen. Ich spürte ihren Atem in der Kehle. Dann begann sie nach mir zu hacken. Als sie aufstand, lächelte sie und strich mir das Haar aus der Stirn. Dann spuckte sie meine Zähne in ihre Hand.
Ich erwachte, als es Abend wurde, fühlte mich schwindlig, heiß und schwach, eine Speichelkruste zog sich an meinem Hals entlang. Ich wickelte mich in einen dünnen Bademantel und fing an zu weinen, als mir die kahle Stelle am Hinterkopf einfiel.
Das sind nur die Nachwirkungen der Droge,
flüsterte ich mir zu und tätschelte meine Wange.
Von einem blöden Haarschnitt geht die Welt nicht unter. Mach dir einfach einen Pferdeschwanz.
Ich schlurfte durch den Flur, mit knackenden Gelenken. Meine Knöchel waren geschwollen, keine Ahnung, warum. Von unten hörte ich meine Mutter singen. Ich klopfte an Ammas Tür und vernahm ein aufforderndes Wimmern.
Sie saß nackt auf dem Boden vor ihrem
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