Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
zerrissen. Am Mund noch Spuren meines Blutes. Hoffnungsvoller Blick.
»Nein, heute nicht, wir können morgen was unternehmen.«
Sie sagte nichts, drehte sich nur um und rannte, so schnell sie konnte, zum Haus. Ihre Füße flogen hoch wie die eines Zeichentrickfohlens.
»Amma!«, rief ich ihr nach. »Du kannst zu mir, okay?« Ich lief ihr hinterher, durch Drogen und Dunkelheit. Es war, als versuchte ich, jemanden zu verfolgen, während ich rückwärts in den Spiegel schaute. Daher merkte ich auch nicht, dass sie kehrtgemacht hatte und auf mich zulief. Wir stießen mit aller Gewalt zusammen, ihre Stirn knallte gegen meinen Kiefer, und wir fielen erneut hin. Mein Kopf prallte krachend auf den Gehweg, Schmerz schoss durch meinen Unterkiefer. Eine Sekunde lag ich am Boden, Ammas Haare in meiner Faust, während über uns ein Glühwürmchen im Rhythmus meines Blutes flackerte. Dann begann Amma zu gackern, griff sich an die Stirn und betastete die Stelle, die schon dick und dunkelblau wie eine Pflaume war.
»Scheiße. Du hast mein Gesicht verbeult.«
»Und du meinen Hinterkopf«, flüsterte ich. Beim Hinsetzen wurde mir flau. Blut sickerte mir in den Nacken. »Mein Gott, Amma, du bist einfach zu wild.«
»Ich dachte, du magst es wild.« Sie zog mich hoch, mein Gehirn schien lose im Kopf zu schwappen. Dann streifte sie einen winzigen Goldring mit einem blassgrünen Peridot vom Mittelfinger und schob ihn über meinen kleinen Finger. »Hier, für dich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wer immer ihn dir geschenkt hat, möchte sicher, dass du ihn behältst.«
»Er ist von Adora. Aber es ist ihr egal, ganz bestimmt. Eigentlich war er für Ann … aber Ann ist ja tot, also lag er einfach nur rum. Hässlich, was? Hab so getan, als hätte sie ihn mir geschenkt. Was sehr unwahrscheinlich ist, da sie mich hasst.«
»Sie hasst dich nicht.« Wir gingen zum Haus, das Verandalicht leuchtete uns vom Hügel entgegen.
»Sie mag dich nicht«, wagte Amma sich vor.
»Stimmt, tut sie nicht.«
»Na ja, mich auch nicht. Nur anders.« Wir stiegen die Treppe hinauf, Maulbeeren zerplatzten unter unseren Füßen. Die Luft roch wie Guss auf einer Kindertorte.
»Mochte sie dich mehr oder weniger, nachdem Marian gestorben war?«, fragte sie und schob ihren Arm unter meinen.
»Weniger.«
»Also hat es nichts genützt.«
»Was?«
»Ihr Tod hat nichts genützt.«
»Nein. Und jetzt sei still, bis wir in meinem Zimmer sind.«
Wir tappten die Stufen hinauf, wobei ich die Hand an den Nacken hielt, um das Blut aufzufangen, und Amma gefährlich weit zurückblieb. Sie schnupperte an einer Rose auf dem Flurtisch, lächelte sich im Spiegel zu. In Adoras Schlafzimmer herrschte wie immer Schweigen. Nur der Ventilator surrte hinter der verschlossenen Tür.
Ich schloss meine Zimmertür hinter uns, streifte die durchnässten Turnschuhe ab, an denen frisch gemähtes Gras klebte, wischte mir Maulbeersaft vom Bein und wollte gerade mein T-Shirt ausziehen, als ich Ammas Blick bemerkte. T-Shirt runter. Ich ließ mich aufs Bett fallen, als wäre ich zu müde zum Umziehen. Zog die Decke hoch und rollte mich ein, murmelte »Gute Nacht«. Ich hörte, wie ihre Kleider zu Boden fielen, und eine Sekunde später war es dunkel. Sie rollte sich hinter mir ein, nackt bis auf den Slip. Bei der Vorstellung, auch einmal unbekleidet neben jemandem schlafen zu können, hätte ich am liebsten geweint.
»Camille?« Ihre Stimme klang leise, mädchenhaft und unsicher. »Kennst du das, wenn Leute sagen, sie müssen anderen Schmerz zufügen, weil sie nur so überhaupt etwas fühlen können?«
»Mm.«
»Aber was ist«, flüsterte Amma, »wenn es sich einfach gut anfühlt, andere zu verletzen? Wie ein Prickeln, als hätte jemand auf einen Schalter in deinem Körper gedrückt. Und man kann ihn nur wieder ausschalten, wenn man anderen wehtut. Was bedeutet das?«
Ich tat, als schliefe ich. Ich tat, als merkte ich nicht, wie ihre Finger wieder und wieder das Wort
verschwinden
in meinem Nacken nachzeichneten.
Ein Traum. Marian, das weiße Nachthemd klebrig vom Schweiß, eine blonde Locke an der Wange. Sie nimmt meine Hand und will mich aus dem Bett ziehen. »Du bist hier nicht sicher«, flüstert sie. »Du bist hier nicht sicher.« Ich sage, sie soll mich in Ruhe lassen.
13 . Kapitel
I ch erwachte irgendwann nach zwei Uhr mit verkrampftem Magen und schmerzendem Kiefer, weil ich fünf Stunden pausenlos mit den Zähnen geknirscht hatte. Scheiß Ecstasy. Amma hatte wohl auch
Weitere Kostenlose Bücher