Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
nicht grünen würde – während Anna die Dritte, ihres Zeichens Hüterin in sechster Generation, mühelos einen Rosenbusch zum Blühen brachte. Aber gut, diese Kinder waren anders, in ihren Adern floss das Blut, das die Brandstätten verändert hatten …
An dem Tag jedoch, als Nadja van Gogh seinen Sohn zur Welt brachte, verwandelte er Stroh in Gras. Die beiden anderen Frauen, die von ihm schwanger geworden waren, waren da schon längst aus dem Dorf gebracht worden, die ungeborenen Kinder eingetauscht gegen irgendeine andere Ware . Aber nach diesen Regeln lebten die Wipper halt.
Das ganze Dorf hatte sich bei ihnen eingefunden. Er stand hinter der Hütte, sah zum kalten Aprilhimmel hinauf und hörte auf die ersten Schreie seines Kinds. Alles in ihm war im Aufruhr, er wusste selbst nicht mehr, wie er sich fühlte: als Gefangener, Auszubildender oder als dieses verfluchte Schwert der Wipper, von dem das Buch sprach. Seit neun Monaten hatte Artur keine Schusswaffe mehr angerührt. In der ganzen Zeit hatten ihn die Menschen im Dorf nicht ein Mal beleidigt oder auch nur schräg angeguckt. An Piter dachte er immer seltener, und wenn doch, dann nicht an das zerstörte Piter, durch das diese kahlen Köter stromerten, sondern an das alte, in dem während der Weißen Nächte bei hochgeklappten Newa-Brücken Motorboote über den Fluss fuhren, während sich an den Uferstraßen verliebte Pärchen küssten …
Zur Feier des Tages wurde Heu auf der feuchten Frühlingserde ausgebreitet. An langen Tischen hatten sich alle versammelt, die alte Ilma, die Hüterin der Zeit, der einäugige Boris, Hüter der Felder, sowie Matwej und Alina, zwei Experten für Dunkle Male. Und sie hatten ihre Kinder und Enkel mitgebracht, genau wie sie es taten, wenn sie andere Frauen aus dem Dorf besuchten, die ein Kind bekommen hatten. Sie behandelten die Familie Kowal wie ihresgleichen …
Die Herrin der Geburt, Mam Klawdija, half bei der Entbindung und trug das Kind dann aus dem Haus, um es der Menge zu zeigen. Ihr Auftauchen wurde mit allgemeinem Jubel und dem Scheppern von Tontöpfen quittiert. Der gefühlsverwirrte Herr Papa fuhr derweil hinter der Hütte emotional Achterbahn. Tränen rannen aus seinen Augen, während es ihn schüttelte, er lachte und weinte gleichzeitig.
Teufel aber auch! Bevor er in Schlaf versetzt worden war, hatte er nicht geheiratet. Und jetzt war diese Frau, die er monatelang nicht zu Gesicht bekommen hatte und mit der ihn nichts verband bis auf einen erstaunlichen Zufall und wenige Schlachten im Bett, seine Familie. Die er durchfüttern und für die er sorgen musste.
In diesem Moment sprangen ihm ein paar Strohhalme in die Augen. Er hockte sich hin und grub ein kleines Loch in den gefrorenen Boden. Dort hinein setzte er einen vertrockneten Halm, um anschließend seine Hände um ihn zu schließen. Diesmal zweifelte er nicht an seinem Erfolg. Als Artur eine Viertelstunde später die Hände wegnahm, lief ihm Schweiß in die Augen, hämmerte sein Herz wie wild – aber mitten im vereisten Hof reckte sich ein grüner Trieb der Sonne entgegen.
»Gar nicht übel!«, sagte Berder da hinter ihm und führte den völlig erschöpften Gärtner zur Festtafel.
»Wann müssen wir das Kind abgeben?«, fragte Artur zwischen den Glückwünschen.
Berder wechselte einen Blick mit Mam Klawdija. Die Hebamme lachte und schenkte den Männern starken Kwass ein.
»Heute hast du etwas Totes zum Leben erweckt. Wenn du lernst, etwas Lebendes in etwas Totes zu verwandeln, bist du bereit aufzubrechen.«
»Und wenn ich das nie lerne? Die Bienen hören immer noch nicht auf mich. Auch mit dem Unsichtbarsein klappt es nicht. Und einen Baum kriege ich ohne Säge nicht gefällt.«
»Dann haben wir uns getäuscht!«, antwortete Berder bloß. »Und die Tigerjungen für Pap Rubens umsonst eingefangen.«
Die beiden Dörfler lächelten. Und wussten genau, dass sie ihm nicht geantwortet, dass sie kein Wort zu dem Kind gesagt hatten. Berders Stallone-Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Während des Winters war er noch grauer geworden. Mit einem Mal stellte sich Artur vor, wie dieser Mann in zwanzig Jahren wohl sein würde. Vielleicht wäre er ja noch immer der Alte. Vielleicht würde auch diese lächerliche Walddemokratie noch existieren – aber es könnte auch alles ganz anders kommen. Vielleicht verfiel dieser Berder ja mir nichts, dir nichts auf die Idee, dass er als ungeschlagener Krieger das Oberkommando haben sollte und ihm außerdem das
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