Cryptonomicon

kleines Teehaus aus Bambus. Randy drückt die Nase ans Fenster und dreht den Kopf immer weiter, um das ummauerte Gelände im Auge zu behalten, bis ein Wohnhochhaus unmittelbar an der Tragflächenspitze ihm plötzlich die Sicht versperrt. Durch ein offenes Küchenfenster erhascht er für Sekundenbruchteile einen Blick auf eine schlanke Frau, die über einer Kokosnuss ein Beil schwingt.
    Dieser Garten sah aus, als gehörte er tausendfünfhundert Kilometer weiter nach Norden – nach Japan. Als Randy schließlich klar wird, worum es sich handelt, sträuben sich ihm die Nackenhaare.
    Dieses Flugzeug hat Randy ein paar Stunden zuvor am Ninoy Aquino International Airport in Manila bestiegen. Der Flug war verschoben worden, sodass er jede Menge Zeit hatte, sich die anderen Passagiere anzusehen: drei Weststaatler einschließlich seiner selbst, einige Dutzend Malaien (entweder Kinakutaner oder Filipinos) und ansonsten nur Japaner. Von Letzteren sahen manche aus wie Geschäftsleute, die allein oder zu zweit und zu dritt unterwegs waren, die meisten gehörten jedoch zu einer Art organisierter Reisegruppe, die exakt fünfundvierzig Minuten vor dem geplanten Abflug die Wartehalle betrat, im Gänsemarsch hinter einer jungen Frau im marineblauen Kostüm, die an einem Stock ein hübsches kleines Erkennungsschild hochhielt. Rentner.
    Ihr Reiseziel ist nicht Technology City oder einer der sonderbaren, spitz zulaufenden Wolkenkratzer im Finanzviertel. Sie gehen zu dem ummauerten japanischen Garten, der über einem Massengrab mit den Leichen von dreieinhalbtausend japanischen Soldaten angelegt ist, die alle am 23. August 1945 gestorben sind.

Qwghlm House
    Waterhouse schnürt die ruhige Nebenstraße auf und ab und wirft dabei kurze Blicke auf Messingschilder an stabilen weißen Reihenhäusern:
    GESELLSCHAFT ZUR VEREINIGUNG VON
HINDUISMUS UND ISLAM
ANGLO-LAPPISCHE SOLIDARITÄTSGESELLSCHAFT
LÄSTERERVERBAND
TSCHIANG-TSE WOHLTÄTIGKEITSVEREIN AUF
GEGENSEITIGKEIT
KÖNIGLICHES KOMITEE ZUR MINDERUNG DER
ABNUTZUNG VON SCHIFFSKURBELWELLEN
BOLGER STIFTUNG ZUR VERMEHRUNG DER
SEEJUNGFRAUEN
ANTIWALISISCHE LIGA
KOMITE FÜR DI REFORM DER ÄNGLISCHN RECHTSCHRAIBUNG
GESELLSCHAFT ZUR VERHÜTUNG VON GRAUSAMKEIT
GEGEN UNGEZIEFER
KIRCHE DES VEDANTISCH-ETHISCHEN QUANTEN-
BEWUSSTSEINS
GOLDGLIMMER-BEHÖRDE
    Zunächst hält er Qwghlm House für der Welt winzigstes und am ungünstigsten gelegenes Kaufhaus. Es hat ein Erkerfenster, das über dem Bürgersteig dräut wie der Rammsporn einer Triere, überkrustet von viktorianischem Schnickschnack und mit bescheidener Auslage: eine kopflose Schaufensterpuppe, gekleidet in ein Etwas, das aus Stahlwolle gesponnen zu sein scheint (vielleicht ein Tribut an die Entbehrungen der Kriegsjahre?); ein Haufen blässlicher Dreck, in dem eine Schaufel steckt; und eine zweite (erst kürzlich hinzugekommene und in eine Ecke gequetschte) Schaufensterpuppe, die eine Uniform der Royal Navy trägt und ein Holzgewehr in der Hand hat.
    Eine Woche zuvor hat Waterhouse in einem Buchladen in der Nähe des British Museum eine wurmzerfressene Ausgabe der Encyclopedia Qwghlmiana gefunden, die er seither mit sich herumträgt und in Dosen von jeweils ein bis zwei Seiten wie eine starke Arznei in sich aufnimmt. Die Enzyklopädie behandelt vorrangig drei Themen und sie beherrschen jeden Artikel so total, wie die Drei Sgrhs die Landschaft von Outer Qwghlm beherrschen. Zwei dieser Themen sind Wolle und Guano, wenngleich die Qwghlmianer in ihrer alten, eigenständigen Sprache andere Bezeichnungen dafür haben. Es liegt hier nämlich die gleiche sprachliche Hyperspezialisierung vor, wie sie bei den Eskimos im Falle von Schnee oder den Arabern im Falle von Sand unterstellt wird, und die Encyclopedia Qwghlmiana benutzt niemals die Worte »Wolle« oder »Guano«, es sei denn, um die minderwertigen Versionen dieser Produkte zu geißeln, die von Ländern wie Schottland in der perfiden Absicht exportiert werden, die naiven Käufer zu verwirren, die offenbar die Warenmärkte der Welt dominieren. Waterhouse hat die Enzyklopädie fast vollständig lesen und seine gesamten kryptoanalytischen Fähigkeiten einsetzen müssen, um logisch zu erschließen, worum es sich bei diesen Produkten überhaupt handelt.
    Nachdem er so viel über die beiden Produkte gelernt hat, findet er es faszinierend, sie im Herzen der kosmopolitischen Stadt so stolz zur Schau gestellt zu sehen: einen Haufen Guano und eine in Wolle 9 gekleideteFrau. Die Kleidung der Frau ist durchgängig