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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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hinausragt.
    Zehn Minuten bevor Kinakuta City überhaupt sichtbar wird, gibt Randy den Versuch auf, die Ölbohrinseln zu zählen. Von ganz weit oben sehen sie aus wie brennende Panzerfallen, die in der Brandung verteilt sind, um angreifende Marines abzuschrecken. Während das Flugzeug langsam an Höhe verliert, sehen sie mehr und mehr aus wie Fabriken auf Stelzen, aus deren hohen Schornsteinen störendes Erdgas abgefackelt wird. Je näher das Flugzeug dem Wasser kommt, um so bedrohlicher sehen sie aus, und schließlich scheint es, als würde der Pilot sich durch Feuersäulen hindurchschlängeln, die die 777 wie eine Taube im Flug rösten könnten.
    Kinakuta City sieht moderner aus als alles, was man aus den Vereinigten Staaten kennt. Randy hat versucht, etwas über die Stadt in Erfahrung zu bringen, jedoch nur herzlich wenig gefunden: ein paar Einträge in Enzyklopädien, hier und da eine kurze Erwähnung in Werken über den Zweiten Weltkrieg, ein paar boshafte, im Wesentlichen aber überschwängliche Artikel im Economist . Er kramte seine eingerosteten Erfahrungen in der Fernleihe hervor und bezahlte die Library of Congress für eine Fotokopie des einzigen Buches, das er speziell über Kinakuta auftreiben konnte: einer von ungefähr einer Million vergriffenen Memoirenbänden über den Zweiten Weltkrieg, die von GIs in den späten Vierzigern und den Fünfzigern verfasst worden sein müssen. Bisher ist er noch nicht dazu gekommen, ihn zu lesen, und so stellt der fünf Zentimeter dicke Papierstapel nur totes Gewicht in seinem Gepäck dar.
    Jedenfalls stimmt keine der Landkarten, die er gesehen hat, mit den tatsächlichen Gegebenheiten des modernen Kinakuta City überein. Alles, was während des Krieges dort stand, ist abgerissen und durch etwas Neues ersetzt worden. Der Fluss ist in ein neu ausgebaggertes Flussbett verlegt worden. Ein störender Berg namens Eliza Peak ist gesprengt und der Schotter in den Ozean geschoben worden, um einige weitere Quadratkilometer Bauland zu erschließen, von dem der neue Flughafen das meiste verschlungen hat. Die Sprengungen waren so laut, dass die Regierungen der Philippinen und Borneos, Hunderte von Kilometern entfernt, Beschwerde einlegten. Sie riefen auch Greenpeace auf den Plan, denn die Organisation befürchtete, der Sultan würde Wale im Zentralpazifik in Panik versetzen. Randy geht also davon aus, dass halb Kinakuta City ein rauchender Krater ist, was natürlich nicht stimmt. Der Stumpf des Eliza Peak ist ordentlich zubetoniert worden und dient als Fundament für die neue Technology City des Sultans. Alle mit Glaswänden versehenen Wolkenkratzer hier und in der übrigen Stadt laufen oben spitz zu und erinnern damit an eine traditionelle Architektur, die längst niedergewalzt und zum Auffüllen des Hafenbeckens benutzt worden ist.Von allen Gebäuden, die Randy überschauen kann, sieht nur der Palast des Sultans älter als zehn Jahre aus und der ist uralt. Umgeben von unzähligen blau verglasten Wolkenkratzern liegt er da wie ein rötlich-beigefarbenes Staubkörnchen, das in einer Eisschale eingefroren ist.
    Als Randy sich darauf konzentriert, nimmt alles seinen richtigen Platz ein. Er beugt sich vor, läuft Gefahr, von den Stewardessen dafür getadelt zu werden, dass er unter dem Sitz seines Vordermanns seine Tasche hervorzieht und daraus seine fotokopierten GI-Memoiren holt. Eine der ersten Seiten enthält eine Karte von Kinakuta City aus dem Jahr 1945, und mittendrin liegt der Palast des Sultans. Randy lässt sie vor seiner Nase rotieren wie ein übernervöser Fahrer sein Steuerrad und richtet sie so aus, dass sie mit seinem Ausblick zusammenfällt. Da ist der Fluss. Da Eliza Peak, wo die Japaner eine Fernmeldeabteilung und eine Radarstation unterhielten, beides mit Sklavenarbeit erbaut. Da ist das ehemalige Flugfeld der japanischen Marineflieger, das zum Flughafen von Kinakuta wurde, bis der neue fertig war. Jetzt ist es ein Gewirr gelber Kräne über einem blauen Nebel aus Rippenstahl, der von innen her durch eine Konstellation flackernder weißer Sterne erleuchtet wird – Elektroschweißer bei der Arbeit.
    Daneben liegt etwas, was nicht hierher gehört: ein smaragdgrünes Stück Land, vielleicht ein paar Häuserblocks groß, umgeben von einer Steinmauer. Innerhalb der Mauer entdeckt Randy zum einen Ende hin einen beschaulichen Teich – die 777 fliegt jetzt so tief, dass er die Seerosen zählen kann -, einen winzigen, aus schwarzem Stein gehauenen Shinto-Tempel und ein

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