Cryptonomicon
vertraut zu machen, während die SAS-Leute weiter Abfall ausladen. Durch einstündiges Herumwandern stellen Sergeant Shaftoe und die Privates Flanagan und Kuehl fest, dass die Olivenranch auf einem langen, schmalen Landstreifen liegt, der ungefähr in Nord-Süd-Richtung verläuft. Im Westen steigt das Gelände steil zu einem kegelförmigen Gipfel an, der verdächtig nach Vulkan aussieht. Im Osten fällt es nach ein paar Kilometern zum Meer hin ab. Im Norden endet das Plateau in unangenehmem, undurchdringlichem Gestrüpp und im Süden öffnet es sich auf weiteres landwirtschaftlich genutztes Gebiet.
Laut Chattan soll er einen Aussichtspunkt zur Beobachtung der Bucht finden, der so günstig wie möglich zur Scheune liegt. Kurz vor Sonnenuntergang findet ihn Shaftoe: eine Felsnase auf dem Hang des Vulkans, eine halbe Stunde Fußmarsch in nordöstlicher Richtung von der Scheune entfernt und knapp zweihundert Meter höher gelegen.
Beinahe finden er und seine Marines den Rückweg zur Scheune nicht mehr, so gut ist sie mittlerweile getarnt worden. Die SAS-Leute haben jede Öffnung, sogar die kleinen Ritzen in dem eingestürzten Dach, mit Verdunkelungsplanen zugehängt. Drinnen haben sie sich in den Nischen bewohnbaren Raums eingerichtet. Bei all dem Abfall (der mittlerweile um Hühnerfedern und -knochen, abgeschnittene Haare und Orangenschalen ergänzt ist) sieht es so aus, als wohnten sie schon ein Jahr hier, und genau darauf, vermutet Shaftoe, kommt es an.
Corporal Benjamin hat ungefähr ein Drittel des verfügbaren Platzes für sich. Die SAS-Leute nennen ihn fortwährend einen Glückspilz. Er hat inzwischen sein Funkgerät aufgebaut, die Röhren glühen warm und er verfügt über eine schier unglaubliche Masse von Papierkram. Das meiste davon ist alt und fingiert, wie die Zigarettenstummel. Doch nach dem Essen, als nicht nur hier, sondern auch in London die Sonne untergegangen ist, beginnt er in Morsecode zu funken.
Shaftoe versteht Morsecode, so wie die anderen Anwesenden auch. Während Briten und Amerikaner um den Tisch sitzen und ihre Einsätze für den in Aussicht stehenden Hearts-Marathon bis zum Morgengrauen machen, hören sie mit einem Ohr auf Corporal Benjamins Eingabe. Was sie hören, ist Kauderwelsch. Irgendwann geht Shaftoe, bloß um sich zu bestätigen, dass er nicht spinnt, zu Benjamin hinüber, blickt ihm über die Schulter und sieht, dass er Recht hat:
XYHEL ANAOG GFQPL TWPKI AOEUT
Und so weiter und so fort, und das seitenweise.
Am nächsten Morgen graben sie eine Latrine und machen sich anschließend daran, sie zur Hälfte mit ein paar Fässern echter, hundertprozentig reiner, geprüfter, militärischen Anforderungen genügender Standard-Scheiße zu füllen. Gemäß Chattans Anweisungen kippen sie immer nur eine Kelle Scheiße auf einmal hinein und werfen jeder Kelle ein paar Handvoll zerknülltes italienisches Zeitungspapier hinterher, damit es so aussieht, als wäre das Ganze auf natürlichem Weg dorthin gelangt. Von dem Interview mit Lieutenant Reagan vielleicht einmal abgesehen, ist das die schlimmste gewaltfreie Aufgabe, die Shaftoe im Dienste seines Landes jemals hat erfüllen müssen. Er gibt allen den Rest des Tages frei, außer Corporal Benjamin, der bis zwei Uhr morgens aufbleibt und beliebiges Kauderwelsch herunterhämmert.
Am nächsten Tag sorgen sie dafür, dass der Beobachtungsposten überzeugend aussieht. Sie marschieren abwechselnd hin und zurück, hin und zurück, hin und zurück, um einen Pfad im Boden auszutreten, und verteilen dort oben, neben etwas Standardscheiße und -pisse, auch ein paar Zigarettenstummel und Getränkebehälter. Flanagan und Kuehl schleppen einen Spind hinauf und verstecken ihn im Windschatten eines vulkanischen Felsens. Der Spind enthält Bücher mit Silhouetten verschiedener italienischer und deutscher Kriegs- und Handelsschiffe und die entsprechenden Handbücher für Flugzeugerkennung, außerdem ein paar Feldstecher, Fernrohre, eine Fotoausrüstung, leere Notizblöcke und Bleistifte.
Auch wenn Sergeant Bobby Shaftoe die meiste Zeit den Laden schmeißt, findet er es geradezu unheimlich, wie schwierig es ist, Lieutenant Enoch Root einmal unter vier Augen zu erwischen. Seit ihrem ereignisreichen Flug mit der Dakota geht Root ihm aus dem Weg. Am fünften Tag schließlich überlistet ihn Shaftoe; er und ein kleiner Trupp lassen Root allein am Beobachtungspunkt zurück, dann kehrt Shaftoe um und treibt ihn dort in die Enge.
Root ist verblüfft über Shaftoes
Weitere Kostenlose Bücher