Cryptonomicon
Rückkehr, regt sich aber nicht sonderlich auf. Er entzündet eine italienische Zigarette und bietet Shaftoe eine an. Ärgerlicherweise stellt Shaftoe fest, dass er der Nervöse ist. Root ist so gelassen wie immer.
»Okay«, sagt Shaftoe, »was haben Sie gesehen? Als Sie die Papiere durchgegangen sind, die wir dem toten Metzger mitgegeben haben – was haben Sie da gesehen?«
»Sie waren alle auf Deutsch geschrieben«, sagt Root.
»Scheiße!«
»Glücklicherweise«, fährt Root fort, »bin ich einigermaßen mit der Sprache vertraut.«
»Ach ja, richtig – Ihre Mutter war eine Kraut, stimmt’s?«
»Ja, eine Ärztin im Missionsdienst«, sagt Root, »falls das hilft, irgendeine Ihrer vorgefassten Meinungen über die Deutschen zu zerstreuen.«
»Und Ihr Dad war Holländer?«
»Richtig.«
»Und wie hat’s die beiden auf Guadalcanal verschlagen?«
»Sie wollten den Bedürftigen helfen.«
»Ah ja.«
»Außerdem habe ich nebenher ein bisschen Italienisch gelernt. In der Kirche ist das ziemlich verbreitet.«
»Ach du Scheiße«, ruft Shaftoe aus.
»Aber mein Italienisch ist stark von dem Latein beeinflusst, das ich auf Druck meines Vaters lernen musste. Deshalb würde ich für die Einheimischen hier wahrscheinlich ziemlich altmodisch klingen. Genau genommen würde ich wahrscheinlich wie ein Alchimist aus dem siebzehnten Jahrhundert oder so was in der Art klingen.«
»Könnten Sie auch wie ein Priester klingen? Das würden die fressen.«
»Wenn es zum Schlimmsten kommt«, räumt Root ein, »werde ich versuchen, sie ein bisschen zu bepredigen, mal sehen, was dann passiert.«
Beide paffen an ihrer Zigarette und blicken auf die große Wasserfläche vor ihnen hinaus, die, wie Shaftoe erfahren hat, Bucht von Neapel heißt. »Na, egal«, sagt Shaftoe, »was stand denn in den Papieren?«
»Eine Menge detaillierter Informationen über militärische Geleitzüge zwischen Palermo und Tunis. Offensichtlich aus geheimen deutschen Quellen gestohlen.«
»Alte Geleitzüge oder...«
»Geleitzüge, die erst noch fahren«, sagt Root gelassen.
Shaftoe raucht seine Zigarette fertig und bleibt eine Weile stumm. Schließlich sagt er: »Ganz schön komisch.« Er steht auf und marschiert in Richtung Scheune zurück.
Das Schloss
Gerade als Lawrence Pritchard Waterhouse aussteigt, trifft ihn irgendein Wüstling mit einem brackigen Schwall Eiswasser voll ins Gesicht. Weitere Güsse folgen, während er zwischen zwei Reihen Eimer schwingender Tunichtgute Spießruten läuft. Doch dann geht ihm auf, dass überhaupt niemand da ist. Es handelt sich lediglich um eine der hiesigen Atmosphäre innewohnende Eigenschaft, wie Nebel in London.
Die Treppe der Fußgängerbrücke, die über die Gleise zum Utter Maurby Terminal führt, ist von Dach und Wänden umschlossen und bildet so eine riesige Orgelpfeife, die von einem Infraschall-Pochen erdröhnt, während Wind und Wasser auf sie eintrommeln. Als er das untere Ende der Treppe betritt, wird ihm der Sturm plötzlich aus dem Gesicht gerissen und er kann einen Moment lang innehalten und dem Phänomen die volle Anerkennung zollen, die es verdient.
Wind und Wasser sind vom Sturm zu einem mehr oder weniger beliebigen Schaum geschlagen worden. Ein in die Luft gehaltenes Mikrophon würde bloß weißes Rauschen – ein völliges Fehlen von Informationen – registrieren. Doch wenn dieses Geräusch auf die lange Röhre der Treppe trifft, ruft es eine physikalische Resonanz hervor, die sich in Waterhouses Gehirn als tiefes Summen manifestiert. Die physikalische Beschaffenheit der Röhre entlockt sinnlosem Lärm ein kohärentes Muster! Wenn nur Alan hier wäre!
Waterhouse experimentiert, indem er die Obertöne zu diesem tiefen Grundton singt: Oktave, Quinte, Quarte, große Terz und so weiter. Jeder klingt in stärkerem oder schwächerem Maße in dem Treppenhaus mit. Es ist die gleiche Notenreihe, wie sie ein Blechblasinstrument hervorbringt. Von einem Ton zum anderen springend, bringt Waterhouse ein paar passable Hornsignale zustande. Sein Wecksignal klingt ziemlich anständig.
»Wie schön!«
Er fährt herum. Hinter ihm steht eine Frau, die einen Handkoffer von der Größe eines Heuballens schleppt. Sie ist vielleicht fünfzig Jahre alt, von der Statur eines Ofens, und sie hat, bis sie vor ein paar Sekunden aus dem Zug stieg, eine hübsche neue Großstadt-Dauerwelle gehabt. Salzwasser läuft ihr über Gesicht und Hals und verschwindet unter ihrem robusten Kleid aus grauer
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