Cryptonomicon
Randys Computer, der ein Rauschen zurückschickt. Das Modem in Los Altos ist eins von einem halben Dutzend, die alle mit der Rückwand ein und desselben Computers verbunden sind, eines ganz normalen Tower-PCs einer gängigen Marke, der seit ungefähr acht Monaten ununterbrochen läuft. Vor etwa sieben Monaten haben sie seinen Monitor abgestellt, weil er einfach nur Strom verbrauchte. Dann borgte John Cantrell (der im Vorstand der Novus Ordo Seclorum Systems Inc. ist und dafür gesorgt hat, dass das Gerät in den Installationsschrank der Firma kam) sich den Monitor aus, weil einer der Kodierer, der am neuesten Ordo-Update arbeitete, einen zweiten Bildschirm brauchte. Später stöpselte Randy die Tastatur und die Maus ab, denn ohne Monitor konnte nur schlechte Information ins System eingegeben werden. Jetzt ist der Computer nur noch ein leise zischender, gebrochen weißer Obelisk, dessen einzige Verbindungsstelle zum Menschen in einer zyklopenhaften grünen Leuchtdiode besteht, die auf ein dunkles Panorama aus leeren Pizzakartons starrt.
Allerdings ist er durch ein dickes Koaxialkabel mit dem Internet verbunden. Randys Computer spricht ein Weilchen mit ihm und verhandelt über die Bedingungen für eine PPP-Verbindung, das heißt ein Punkt-zu-Punkt-Protokoll, und dann ist auch Randys kleiner Laptop ein Teil des Internets; er kann Daten nach Los Altos schicken, und der dort befindliche, einsame Computer mit Namen Tombstone wird sie so weiterleiten, dass jede Einzelne von mehreren Zehnmillionen weiterer Internetmaschinen sie empfangen kann.
Tombstone oder tombstone.epiphyte.com , wie er im Internet heißt, fristet ein ruhmloses Dasein als Briefschlitz und geheimes Versteck für Dateien. Er tut nichts, was tausend Online-Services nicht auch für sie tun könnten, noch dazu einfacher und billiger. Doch Avi mit seiner Gabe, sich die allerschlimmsten anzunehmenden Unfälle auszumalen, hatte auf einer eigenen Maschine bestanden und verlangt, dass Randy und die anderen deren Kernel-Code Zeile für Zeile nach Sicherheitslücken durchforsteten. In den Schaufenstern sämtlicher Buchhandlungen in der Bay Area stapelten sich zu Tausenden drei verschiedene Bücher über einen berühmten Cracker, dem es gelungen war, eine Reihe bekannter Online-Services ganz und gar unter seine Kontrolle zu bringen. Folglich könne die Epiphyte Corp. einen solchen Online-Service schlecht für ihre Geheimdateien benutzen und gleichzeitig, ohne mit der Wimper zu zucken, behaupten, sie übe zugunsten ihrer Aktionäre die erforderliche Sorgfalt aus. Daher tombstone.epiphyte.com .
Randy loggt ein und schaut in seine Mail: siebenundvierzig Nachrichten, einschließlich einer zwei Tage alten von Avi (avi@epiphyte. com) mit dem Titel EpiphyteUnplan.5.4.ordo, Epiphyte Unternehmensplan, fünfte Ausgabe, vierter Entwurf; das Dateiformat dieses Unternehmensplans kann nur von [Novus] Ordo [Seclorum] gelesen werden, einem Programm, das zwar vollständig der gleichnamigen Firma gehört, dessen unveränderliche Teile aber, wie es der Zufall will, von John Cantrell geschrieben wurden.
Er befiehlt seinem Computer, mit dem Herunterladen dieser Datei zu beginnen – das wird eine Weile dauern. In der Zwischenzeit scrollt er die Liste der anderen Nachrichten durch und schaut sich die Namen der Absender, ihre Betreffs und ihren Umfang an, um zunächst einmal festzustellen, wie viele davon ungelesen in den Papierkorb wandern können.
Zwei Nachrichten springen ins Auge, weil ihre Absenderadresse mit aol.com endet, der Gegend im virtuellen Raum, in der Eltern und Kinder, aber niemals Studenten, Hacker oder Leute, die im High-Tech-Bereich arbeiten, zu finden sind. Sie stammen beide von Randys Rechtsanwalt, der versucht, die finanziellen Angelegenheiten seines Mandanten so emotionslos wie möglich von Charlenes zu trennen. Randy merkt, wie sein Blutdruck in die Höhe schießt, wie Millionen von Kapillargefäßen in seinem Gehirn anschwellen. Da die Dateien aber sehr kurz sind und die Betreffs harmlos aussehen, beruhigt er sich wieder und beschließt, sich darüber jetzt keine Gedanken zu machen.
Drei Nachrichten stammen von Computern mit höchst vertrauten Namen – Systemen, die zu dem Universitätscomputernetz gehören, für das er früher zuständig war. Die Nachrichten kommen von Systemadministratoren, die Randys Job übernahmen, als er ging, Leuten, die ihm die einfachen Fragen wie Wo gibt es die beste Pizza? und Wo hast du die leeren Kartons gestapelt? längst
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