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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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schwer aussehenden Rucksack ab, den er schon die ganze Zeit herumträgt, und öffnet ihn. Seine plötzliche Aktivität erregt die Aufmerksamkeit der Royal-Navy-Leute, die ihm helfen, indem sie ihre Taschenlampen auf seine rastlosen Hände richten.
    Waterhouse, der sich zu diesem Zeitpunkt möglicherweise in einer Art Delirium befindet, kann nicht fassen, was er sieht: Shaftoe hat ein Bündel sauberer, bräunlich-gelber Zylinder, fingerdick und gut fünfzehn Zentimeter lang, hervorgeholt. Er nimmt außerdem ein paar Kleinteile heraus, darunter eine Rolle dicke, steife rote Schnur. Er springt so entschlossen auf, dass er beinahe jemanden über den Haufen rennt, dann läuft er zum Turm und verschwindet die Leiter hinunter.
    »Herrgott«, sagt ein Offizier, »er will sprengen.« Der Offizier denkt ganz kurze Zeit darüber nach; das Boot bewegt sich auf Furcht erregende Weise mit den Wellen und macht scharrende Geräusche, die womöglich darauf hindeuten, dass es vom Riff rutscht. »Alle Mann von Bord!«, brüllt er.
    Die meisten steigen in das Walfangboot. Waterhouse wird wieder in die Gondel-Vorrichtung verfrachtet. Er hat ungefähr die halbe Strecke zum Torpedoboot zurückgelegt, als er einen heftigen Stoß verspürt, aber kaum hört.
    Den Rest des Weges über kann er rein gar nichts sehen; noch nach seiner Rückkehr auf das Torpedoboot herrscht reine Verwirrung und jemand namens Enoch Root besteht darauf, mit ihm unter Deck zu gehen und sich mit seinem Kopf und seinem Arm zu beschäftigen. Waterhouse hat bis jetzt nicht gewusst, das sein Kopf Schaden genommen hat, was insofern einleuchtet, als der Kopf der Ort des Wissens ist – wenn er Schaden genommen hat, woher soll man’s dann wissen? »Dafür kriegen Sie mindestens ein Purple Heart«, sagt Enoch Root. Er sagt es mit einem deutlichen Mangel an Begeisterung, als ob ihm Purple Hearts völlig schnurz sind, er sich jedoch zu der Vermutung herablässt, das Ganze werde für Waterhouse zu einem großen Erlebnis. »Und Sergeant Shaftoe, dieser Ochse, hat wahrscheinlich auch wieder eine höhere Auszeichnung zu erwarten.«

Morphium
    Noch immer sieht Shaftoe das Wort jedes Mal vor sich, wenn er die Augen schließt. Es wäre besser, wenn er auf die zu erledigende Arbeit achtete: Sprengladungen um die Bolzen zu packen, die den Safe mit dem Unterseeboot verbinden.
    MORPHIUM. So steht es auf einem vergilbten Papieretikett. Das Etikett ist auf eine kleine Glasflasche geklebt. Das Glas hat die gleiche tief purpurrote Farbe, die man sieht, wenn man von einem starken Licht geblendet worden ist.
    Harvey, der Seemann, der sich angeboten hat, ihm zu helfen, leuchtet Shaftoe ständig mit seiner Taschenlampe in die Augen. Das ist unvermeidlich; Shaftoe ist in einer unvergleichlich unbequemen Haltung unter den Safe gezwängt, hantiert mit den Ladungen und versucht mit schmierigen Fingern, denen jede Kraft und Wärme fehlt, die Zünder scharf zu machen. Das wäre gar nicht möglich, wenn das Boot nicht torpediert worden wäre; davor war die Kabine halb voll Abwasser und der Safe war darin eingetaucht. Nun hat sie sich praktischerweise geleert.
    Harvey ist nirgendwo eingezwängt. Er wird von den Paroxysmen des Unterseeboots herumgeschleudert, das wie ein gestrandeter Hai stumpfsinnig, aber heftig versucht, sich von dem Riff loszureißen. Der Strahl seiner Taschenlampe streicht Shaftoe immer wieder über die Augen. Shaftoe blinzelt und sieht einen Kosmos von Purpurrot: winzige purpurrote Flaschen mit der Aufschrift MORPHIUM.
    »Verflucht noch mal!«, brüllt er.
    »Alles in Ordnung, Sergeant?«, fragt Harvey.
    Harvey kapiert es nicht. Harvey denkt, Shaftoe flucht über irgendein Problem mit den Sprengkörpern.
    Dabei sind die Sprengkörper einfach klasse. Mit den Sprengkörpern gibt es kein Problem. Das Problem ist Bobby Shaftoes Gehirn.
    Er hat direkt davor gestanden. Waterhouse hat ihn auf die Suche nach einem Stethoskop geschickt, und Shaftoe ist durch das Unterseeboot gekraxelt, bis er eine Holzkiste gefunden hat. Er hat sie geöffnet und gleich gesehen, dass sie voller medizinischem Kram war. Er hat sie nach dem von Waterhouse gewünschten Gegenstand durchwühlt und da war die Flasche, nicht zu übersehen, direkt vor seiner Nase. Er hat sie sogar mit der Hand gestreift, Herrgott noch mal. Er hat das Etikett gesehen, als der Strahl seiner Taschenlampe darüber strich.
    MORPHIUM.
    Aber er hat sie sich nicht geschnappt. Wenn MORPHINE darauf gestanden hätte, hätte er sie sich sofort

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