Cryptonomicon
anschickt.
»GutenTag, Sergeant Shaftoe«, sagt Reagan. Aus irgendeinem Grund hat er sich einen kräftigen deutschen Akzent zugelegt. Ein Scherz. Diese Schauspieler! Shaftoe riecht Fleisch und noch anderes, weniger Einladendes. Etwas Schweres, aber nicht besonders Hartes knallt ihm ins Gesicht. Dann zieht es sich zurück. Dann trifft es ihn erneut.
»Ihr Kamerad ist morphiumsüchtig?«, fragt Beck.
Enoch Root ist leicht betroffen; sie sind erst seit acht Stunden an Bord des Bootes. »Wird er schon lästig?«
»Er ist halb bewusstlos«, sagt Beck, »und spricht viel von Riesenechsen – neben anderen Themen.«
»Ach so, das ist ganz normal bei ihm«, sagt Root erleichtert. »Wie kommen Sie darauf, dass er morphiumsüchtig ist?«
»Wegen des Morphiumfläschchens und der Injektionsspritze, die in seiner Tasche waren«, sagt Beck mit jener trockenen teutonischen Ironie, »und der Einstichstellen in seinem Arm.«
Root bemerkt, dass das Unterseeboot einem aus dem Meer herausgebohrten und mit Eisenwaren ausgekleideten Tunnel gleicht. Die Kabine (wenn das kein zu pompöses Wort dafür ist), in der er sich befindet, ist bei weitem der größte offene Raum, den Root bisher gesehen hat, und das heißt, er kann beinahe die Arme ausstrecken, ohne jemanden zu treffen oder unabsichtlich einen Schalter oder ein Ventil zu betätigen. Sie verfügt sogar über etwas Holzschränkchenähnliches und ist durch einen Ledervorhang vom Gang abgeteilt. Als man Root hierher gebracht hat, dachte er zunächst, es handele sich um einen Vorratsschrank. Doch als er sich umschaut, geht ihm allmählich auf, dass es der schönste Platz auf dem ganzen Boot ist: die Kabine des Kapitäns. Das bestätigt sich, als Beck eine Schreibtischschublade aufschließt und eine Flasche Armagnac herausnimmt.
»Frankreich zu erobern hat seine Vorteile«, sagt Beck.
»Ja«, sagt Root. »Wie man ein Land ausplündert, damit kennt ihr euch wirklich aus.«
Lieutenant Reagan ist wieder da und belästigt Bobby Shaftoe mit einem Stethoskop, das anscheinend in einem Bad aus flüssigem Stickstoff aufbewahrt wurde, bis man es benutzen konnte. »Husten, husten, husten!«, sagt er in einem fort. Schließlich nimmt er das Instrument weg.
Irgendetwas stimmt nicht mit Shaftoes Knöcheln. Er versucht, sich auf die Ellbogen aufzustützen, um nachzusehen, und knallt mit dem Gesicht gegen ein glühend heißes Rohr. Als er sich davon erholt hat, späht er vorsichtig an seinem Körper entlang und sieht da unten einen gottverdammten Eisenwarenladen. Die Schweine haben ihn in Fußeisen gelegt!
Er lässt sich wieder zurücksinken und bekommt von einem baumelnden Schinken eine geknallt. Über ihm wölbt sich ein Firmament aus Röhren und Kabeln. Wo hat er das nur schon mal gesehen? Auf dem Teutonenhammer, genau. Nur dass in dem Unterseeboot hier das Licht brennt, dass es nicht zu sinken scheint und dass es voller Deutscher ist. Die Deutschen sind ruhig und entspannt. Keiner von ihnen blutet oder schreit. Verdammt! Das Boot schwankt zur Seite und eine riesige Blutwurst knufft ihn in den Bauch.
Er beginnt sich umzuschauen, versucht sich zu orientieren. Außer aufgehängtem Fleisch ist nicht viel zu sehen. Die Kabine hier ist ein knapp zwei Meter langes Stück Unterseeboot mit einem schmalen Durchgang in der Mitte, gesäumt von Kojen. Das heißt, vielleicht sind es Kojen. Die, die ihm direkt gegenüberliegt, wird von einem schmutzigen Leinwandsack belegt.
Scheiß drauf. Wo ist der Kasten mit den purpurroten Fläschchen? »Was man mir aus Charlottenburg mitteilt, liest sich sehr amüsant«, sagt Beck zu Root und kommt damit auf die entschlüsselten Funksprüche auf seinem Tisch zu sprechen. »Vielleicht hat das dieser Jude Kafka verfasst.«
»Wieso?«
»Wie es scheint, rechnet man nicht damit, dass wir es jemals lebendig bis nach Hause schaffen.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragt Root und versucht, den Armagnac nicht allzu sehr zu genießen. Wenn er ihn sich unter die Nase hält und einatmet, überdeckt sein Duft beinahe den Gestank nach Urin, Kotze, verdorbenem Essen und Diesel, der auf dem Unterseeboot alles bis hinunter auf die atomare Ebene durchdringt.
»Man drängt auf Informationen über unsere Gefangenen. Man ist sehr interessiert an Ihnen«, sagt Beck.
»Mit anderen Worten«, sagt Root vorsichtig, »man möchte, dass Sie uns jetzt verhören.«
»Genau.«
»Und die Ergebnisse über Funk melden?«
»Ja«, sagt Beck. »Aber eigentlich müsste
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