Cryptonomicon
sondern ein voluminöser Mantel. Er hat die Arme vor der Brust gekreuzt.
»Was soll’s«, murmelt der Deutsche, »ich habe bloß versucht, Konversation zu machen.« Er dreht den Kopf und kratzt sich die Nase, indem er das Gesicht eine Zeit lang an seinem Kissen reibt. »Mir können Sie so viele Geheimnisse verraten, wie Sie wollen«, sagt er. »Ich habe Dönitz nämlich schon mitgeteilt, dass die Enigma Scheiße ist. Und es hat sich überhaupt nichts geändert. Außer dass er mir einen neuen Mantel bestellt hat.« Der Mann wälzt sich herum, sodass er Shaftoe den Rücken zukehrt. Die Ärmel des Kleidungsstücks sind an den Enden zugenäht und hinter seinem Rücken verknotet. »Die ersten ein, zwei Tage ist es bequemer, als man denkt.
Ein Maat zieht den Ledervorhang zur Seite und reicht Beck mit einer entschuldigenden Geste einen Zettel mit einem frisch entschlüsselten Funkspruch. Beck liest ihn, hebt die Augenbrauen und blinzelt müde. Er setzt sich an den Tisch und starrt fünfzehn Sekunden lang die Wand an. Dann greift er nach dem Zettel und liest ihn noch einmal genau.
»Hier steht, ich soll Ihnen keine Fragen mehr stellen.«
»Was!?«
»Unter keinen Umständen«, sagt Beck, »soll ich weitere Informationen aus Ihnen herausholen.«
»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
»Wahrscheinlich, dass Sie etwas wissen, was ich nicht erfahren darf«, sagt Beck.
Mittlerweile ist es ungefähr zweihundert Jahre her, dass Bobby Shaftoe eine Spur Morphium in seinem Kreislauf gehabt hat. Ohne das Zeug kennt er weder Freude noch Trost.
Die Injektionsspritze schimmert wie ein kalter Stern auf der Koje unter dem verrückten Deutschen in der Zwangsjacke. Es wäre ihm lieber, sie würden ihm die Fingernägel rausreißen oder so was.
Er weiß, dass er zusammenbrechen wird. Er überlegt, wie er zusammenbrechen kann, ohne irgendwelche Marines umzubringen.
»Ich könnte Ihnen die Spritze mit dem Mund reichen«, schlägt der Mann vor, der sich als Bischoff vorgestellt hat.
Shaftoe lässt es sich durch den Kopf gehen. »Und wofür?«
»Sie sagen mir, ob die Enigma entschlüsselt worden ist.«
»Aha.« Shaftoe ist erleichtert; er hat schon befürchtet, Bischoff würde verlangen, dass er ihm einen bläst. »Das ist doch dieses Codemaschinen-Dingsbums, von dem Sie mir erzählt haben?« Er und Bischoff haben reichlich Zeit zum Quatschen gehabt.
»Ja.«
Shaftoe ist verzweifelt. Aber er ist auch überaus gereizt, was ihm nun sehr zustatten kommt. »Ich soll Ihnen abnehmen, dass Sie bloß ein Verrückter sind, der sich für die Enigma interessiert, und kein deutscher Marineoffizier, der sich mit einer Zwangsjacke verkleidet hat, um mich reinzulegen?«
Bischoff ist verärgert. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich Dönitz gesagt habe, die Enigma ist Mist! Wenn Sie mir erzählen, dass das Ding Mist ist, macht das folglich überhaupt keinen Unterschied!«
»Ich möchte Sie etwas fragen«, sagt Root.
»Ja?«, sagt Beck und bemüht sich erkennbar, die Augenbrauen zu heben und einen interessierten Eindruck zu machen.
»Was haben Sie Charlottenburg über uns gesagt?«
»Name, Rang, Stammrollennummer, Umstände der Gefangennahme.«
»Aber das haben Sie denen gestern gesagt?«
»Richtig.«
»Und was haben Sie ihnen seither gesagt?«
»Nichts. Außer der Seriennummer auf der Morphiumflasche.«
»Und wie lange, nachdem Sie ihnen das gesagt hatten, kam der Befehl, keine Informationen mehr aus uns herauszuholen?«
»Ungefähr eine Dreiviertelstunde später«, sagt Beck. »Ja, sicher, ich würde Sie sehr gern fragen, wo die Flasche herkommt. Aber es verstößt gegen meine Befehle.«
»Ich würde vielleicht in Erwägung ziehen, Ihre Frage nach Enigma zu beantworten«, sagt Shaftoe, »wenn Sie mir sagen, ob diese Rohrbombe Gold mit sich führt.«
Bischoffs Stirn furcht sich; er hat Übersetzungsprobleme. »Meinen Sie Geld?«
»Nein. Gold. Das teure gelbe Metall.«
»Ein bisschen vielleicht«, sagt Bischoff.
»Kein Kleingeld«, sagt Shaftoe. »Zig Tonnen.«
»Nein. Unterseeboote führen nicht tonnenweise Gold mit sich«, sagt Bischoff kategorisch.
»Wirklich schade, dass Sie das gesagt haben, Bischoff. Ich dachte nämlich, Sie und ich wären gerade dabei, uns richtig gut zu verstehen. Und da gehen Sie hin und lügen mich an – Sie Arschloch!«
Zu Shaftoes Überraschung und wachsender Gereiztheit findet Bischoff es rasend komisch, als Arschloch bezeichnet zu werden. »Warum zum
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