Cryptonomicon
betrachten, wo sie sich im Augenblick befinden. Aber sein Blick wird immer wieder nordwärts gezogen – zur Inselgruppe von Qwghlm.
Man denke sie sich als Mittelpunkt einer Uhr. Dann liegt Großbritannien bei fünf und sechs Uhr und Irland bei sieben. Norwegen liegt genau im Osten, bei drei Uhr Dänemark knapp südlich von Norwegen, bei vier Uhr, und an der Basis von Dänemark, wo das Land an Deutschland grenzt, liegt Wilhelmshaven. Frankreich, Heimat so vieler Unterseeboote, liegt weit, weit im Süden – vollkommen außerhalb des Bildes.
Ein Unterseeboot, das von der offenen See her einen sicheren Hafen in der Festung Europa ansteuerte, würde einfach die französischen Häfen im Golf von Biscaya – höchstwahrscheinlich Lorient – anlaufen. Zu den deutschen Nord- und Ostseehäfen zu gelangen wäre eine weit längere, viel kompliziertere und gefährlichere Reise. Das Unterseeboot müsste irgendwie um Großbritannien herumkommen. Im Süden müsste es durch den Ärmelkanal flitzen, der (abgesehen davon, dass er ein von britischem Radar knisterndes Nadelöhr ist) von den Royal-Navy-Spielverderbern in ein Labyrinth aus Blockierschiffen und Minenfeldern verwandelt wurde. Oben im Norden ist viel mehr Platz.
Angenommen, Shaftoes Geschichte entspricht der Wahrheit – und ein Körnchen Wahrheit muss dran sein, denn wo hätte er sonst die Morphiumflasche her? -, dann hätte es eigentlich eine ziemlich einfache Sache für U-553 sein müssen, über die nördliche Route um Großbritannien herumzukommen. Aber Unterseeboote haben fast immer bis zu einem gewissen Grad technische Probleme, zumal nachdem sie eine Weile auf See gewesen sind. Das könnte einen Skipper veranlassen, sich nahe an der Küste zu halten anstatt die offene See zu suchen, wo es keine Hoffnung auf Überleben gäbe, wenn die Maschinen endgültig ausfielen. In den letzten Jahren waren derart betroffene Unterseeboote an den Küsten von Irland und Island aufgegeben worden.
Aber angenommen, ein küstennah fahrendes Unterseeboot in Nöten wäre zufällig genau zu der Zeit am Royal-Navy-Stützpunkt von Qwghlm vorbeigekommen, als ein anderes Unterseeboot dort einen Angriff inszenierte, wie Shaftoe behauptete. Dann hätte das Schleppnetz aus Zerstörern und Flugzeugen, das man ausgeworfen hätte, um die Angreifer zu fangen, ohne weiteres U-553 fangen können, zumal wenn dessen Manövrierfähigkeit von vornherein eingeschränkt gewesen wäre.
An Shaftoes Geschichte ist zweierlei unglaubwürdig. Erstens, dass ein Unterseeboot einen Schatz aus solidem Gold mit sich führen würde. Zweitens, dass ein Unterseeboot deutsche Häfen anstatt einen der französischen Häfen ansteuern würde.
Aber beides zusammen ist plausibler, als es jedes davon für sich genommen wäre. Ein Unterseeboot, das so viel Gold mit sich führt, könnte sehr gute Gründe haben, direkt das Vaterland anzulaufen. Irgendeine hochgestellte Persönlichkeit wollte dieses Gold geheim halten. Und zwar nicht nur vor dem Feind, sondern auch vor anderen Deutschen.
Warum geben die Japaner den Deutschen Gold? Bestimmt geben die Deutschen ihnen etwas dafür, was sie brauchen: strategische Materialien, Pläne für neue Waffen, Berater, irgendetwas in dieser Art.
Er verfasst einen Funkspruch:
Dönitz!
Hier ist Bischoff. Ich habe wieder das Kommando übernommen. Danke für den angenehmen Urlaub. Ich habe mich gut erholt.
Wie unzivilisiert von Ihnen zu befehlen, dass wir versenkt werden sollen. Da muss ein Missverständnis vorliegen. Können wir das nicht von Angesicht zu Angesicht besprechen?
Ein betrunkener Eisbär hat mir ein paar faszinierende Dinge erzählt.Vielleicht werde ich diese Informationen in einer Stunde oder so senden. Da ich der Enigma ohnehin nicht traue, werde ich sie erst gar nicht verschlüsseln.
Hochachtungsvoll
Bischoff
Von Gibraltar her zieht ein Schwarm weißer Vs über ein sonnenerleuchtetes Meer nach Norden. An der Spitze jedes Vs sitzt ein nissenartiges Fleckchen. Die Fleckchen sind Schiffe, die Megatonnen von Kriegsmaterial und Tausende von Soldaten von Nordafrika (wo man ihre Dienste nicht mehr benötigt) nach Großbritannien schaffen. So stellt es sich für die Piloten der Flugzeuge über der Bucht von Biscaya dar. Die Piloten und die Flugzeuge sind allesamt englischer oder amerikanischer Herkunft – mittlerweile beherrschen die Alliierten den Golf von Biscaya und haben ihn in eine Hölle für Unterseeboot-Mannschaften verwandelt.
Die meisten Vs ziehen
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