Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
General das Opfer eines eindeutigen politischen Attentats geworden ist.
    Selbst seine Vorstellung von Geographie hat sich verändert. Als er zu Hause war, hat er sich mit seinen Großeltern hingesetzt und sie haben den Globus betrachtet und ihn gedreht, bis sie nur noch Blau sahen, haben Waterhouses Route über den Pazifik, von einem einsamen Vulkan bis zum nächsten gottverlassenen Atoll, verfolgt. Waterhouse weiß, dass diese kleinen Inseln vor dem Krieg nur eine einzige ökonomische Funktion hatten: die Informationsverarbeitung. Die Punkte und Striche, die durch das Unterseekabel fließen, werden nach ein paar tausend Meilen von den Erdströmen verschluckt, wie kleine Wellen von schwerer Brandung. Die europäischen Mächte haben diese Inseln ungefähr zur gleichen Zeit kolonisiert, wie die langen Kabel gelegt worden sind, und Kraftwerke errichtet, wo die ankommenden Punkte und Striche aufgefangen, verstärkt und zur nächsten Inselkette weitergeschickt werden.
    Einige dieser Kabel tauchen vermutlich nicht weit von diesem Strand in die Tiefe. Waterhouse steht im Begriff, den Punkten und Strichen über den westlichen Horizont zu folgen, wo die Welt endet.
    Er stößt auf eine Rampe, die zum Strand hinabführt, lässt sich von der Schwerkraft auf Meereshöhe hinunterziehen und schaut nach Süden und Westen. Das Wasser liegt friedlich und farblos unter einem dunstigen Himmel, die Horizontlinie ist kaum auszumachen.
    Der feine trockene Sand wirft sich unter seinen Füßen zu dicken, kreisförmigen Wellen auf, die um seine Knöchel wogen, sodass er stehen bleiben und seine harten Lederschuhe aufschnüren muss. Im Stoff seiner schwarzen Socken hat sich Sand festgesetzt und er zieht auch sie aus und stopft sie sich in die Taschen. Einen Schuh in jeder Hand, geht er aufs Wasser zu. Er sieht andere, die die Schnürsenkel ihrer Schuhe durch eine Gürtelschlaufe gezogen und zusammengebunden haben, sodass sie die Hände frei haben. Doch daran stört ihn die Asymmetrie, und so trägt er seine Schuhe, als schicke er sich an, in umgekehrter Haltung, mit ins Wasser hängendem Kopf, auf den Händen zu waten.
    Die tief stehende Sonne scheint flach über den Sand, streift das Chaos und erzeugt auf dem Kamm jeder winzigen Düne eine messerscharfe Begrenzungslinie. Die Kurven spielen und oszillieren in einem Muster miteinander, das, vermutet Waterhouse, zutiefst faszinierend und bedeutsam ist, für seinen müden Verstand jedoch eine zu große Herausforderung darstellt. Einige Stellen sind von Möwengetrippel eingeebnet worden.
    An der Brandungslinie ist der Sand glatt gespült. Die Fußabdrücke eines kleinen Kindes ziehen sich darüberhin, gespreizt wie Gardenienblüten an dünnen Stielen. Der Sand wirkt wie eine geometrische Ebene, bis der Ozean ihn streift. Dann verraten Wasserwirbel kleine Unvollkommenheiten. Diese Wirbel verformen ihrerseits den Sand. Der Ozean ist eine Turing-Maschine, der Sand ihr Band; das Wasser liest die Spuren im Sand; manchmal löscht es sie und manchmal bildet es neue, mit winzigen Strömen, die ihrerseits eine Reaktion auf die Spuren sind. Indem Waterhouse durch die Brandung stapft, höhlt er tiefe Krater in den feuchten Sand, die vom Ozean gelesen werden. Irgendwann löscht sie der Ozean, doch dabei ist sein Zustand ein anderer geworden, das Muster seiner Wirbel hat sich verändert.Waterhouse stellt sich vor, dass sich die Störung irgendwie über den Pazifik fortpflanzen und von irgendeinem supergeheimen japanischen Überwachungsgerät aufgefangen werden könnte, das aus Bambusrohren und Chrysanthemen-Blättern besteht; japanische Lauscher würden erfahren, dass Waterhouse hier entlanggegangen ist. Umgekehrt enthält das um Waterhouses Füße wirbelnde Wasser Informationen über die Konstruktion japanischer Schiffsschrauben und die Aufstellung der japanischen Flotten – wenn er nur den Grips hätte, sie lesen zu können. Das von verschlüsselten Daten trächtige Chaos der Wellen trotzt ihm.
    Der Landkrieg ist für Waterhouse vorbei. Nun ist er fort, fort auf dem Meer. Es ist das erste Mal seit seiner Ankunft in Los Angeles, dass er es sich gründlich ansieht. Für ihn sieht es groß aus. Früher, in Pearl, war es bloß eine Leerstelle, ein Nichts. Nun stellt es sich als aktiver Teilnehmer, als Informationsvektor dar. Dort draußen in einem Krieg zu kämpfen könnte einen in eine Art Wahnsinn treiben, einen verrückt machen. Wie muss das für den General sein? Jahrelang zwischen Vulkanen und

Weitere Kostenlose Bücher