Cryptonomicon
Nazi. Scheiße! Shaftoe kehrt der Szene den Rücken und tut so, als schlendere er in die Stadt zurück.
»Jens! Jens!«, ruft Bischoff und fügt dann noch etwas auf Schwedisch hinzu. Er läuft Shaftoe nach. Dieser dreht sich wohlweislich nicht um, bis Bischoff ihm mit einem letzten »Jens!« den Arm um die Schulter legt. Dann sagt er, sotto voce, auf Englisch: »Die Adresse meiner Familie hast du. Wenn ich dich nicht in Manila sehe, wollen wir uns nach dem Krieg miteinander in Verbindung setzen.« Er fängt an, Shaftoe auf den Rücken zu klopfen, zieht ein paar Geldscheine aus der Tasche und drückt sie Shaftoe in die Hand.
»Verdammt noch mal, und ob du mich dort siehst«, sagt Shaftoe. »Wofür ist der Scheiß da?«
»Ich gebe dem netten schwedischen Jungen, der mir das Gepäck getragen hat, ein Trinkgeld«, sagt Bischoff.
Shaftoe nuckelt an seinen Zähnen und zieht ein Gesicht. Er merkt, dass ihm dieser Mantel-und-Degen-Kram überhaupt nicht liegt. Fragen schießen ihm durch den Kopf, darunter Wieso ist dieser Riesentorpedo voller Raketentreibstoff sicherer als das, worin du früher herumgeschippert bist?, aber er sagt bloß: »Na, dann viel Glück.«
»Behüt dich Gott, mein Lieber«, antwortet Bischoff. »Das wird dich daran erinnern, nach deiner Post zu sehen.« Dann haut er Shaftoe so kräftig auf die Schulter, dass man den Abdruck noch drei Tage sehen wird, dreht sich um und marschiert Richtung Salzwasser. Shaftoe, der auf Schnee und Bäume zugeht, beneidet ihn. Als er fünfzehn Minuten später das nächste Mal zum Hafen hinsieht, ist das Unterseeboot verschwunden. Plötzlich erscheint ihm die Stadt so kalt, leer und einsam, wie sie wirklich ist.
Seine Post bekommt er poste restante an das Postamt von Norrsbruck geschickt. Als es ein paar Stunden später aufmacht, wartet Shaftoe schon an der Tür und bläst Dampfwölkchen aus seinen Nasenlöchern aus, als würde er von Raketentreibstoff angetrieben. Er bekommt einen Brief von seinen Leuten in Wisconsin und einen großen Umschlag, der am Vortag irgendwo in Norrsbruck, Schweden, aufgegeben wurde und keinen Absender trägt, aber in Günter Bischoffs Handschrift beschrieben ist.
Er ist voll gepackt mit Aufzeichnungen und Dokumenten, die das neue Unterseeboot betreffen, darunter auch ein, zwei Briefe, die der Großadmiral persönlich unterschrieben hat. Shaftoes Deutsch ist etwas besser als vor seiner Unterseeboot-Fahrt, aber das Meiste bleibt ihm dennoch unverständlich. Er hat eine Menge Zahlen vor sich, eine Menge Kram, der nach Technik aussieht.
Es handelt sich um grundlegendes, unschätzbares Material für den Marinenachrichtendienst. Shaftoe packt die Papiere sorgfältig ein, steckt sie sich in den Hosenbund und marschiert den Strand entlang in Richtung Wohnhaus der Kivistiks.
Es ist ein langer, kalter, nasser, mühseliger Marsch. Er hat reichlich Zeit, seine Situation abzuwägen: in einem neutralen Land auf der anderen Seite der Welt festsitzend, weit weg von dort, wo er eigentlich sein möchte. Dem Marine Corps entfremdet. In eine Art Verschwörung verwickelt.
Genau genommen hat er sich nun schon mehrere Monate lang unerlaubt von der Truppe entfernt. Doch wenn er plötzlich in der amerikanischen Botschaft in Stockholm auftaucht und diese Dokumente mitbringt, wird ihm alles verziehen. Sie sind seine Fahrkarte nach Hause. Und »Zuhause« ist ein sehr großes Land, zu dem auch Orte wie Hawaii zählen, das näher bei Manila liegt als Norrsbruck in Schweden.
Ottos Boot ist gerade von Finnland gekommen und schaukelt, an seinem Vogelnest von einem Landungssteg vertäut, auf der Flut. Es ist, wie Shaftoe weiß, noch immer mit dem beladen, was die Finnen im Augenblick gerade gegen Kaffee und Patronen eintauschen. Otto selbst sitzt in der Hütte und trinkt, mit roten Augen und völlig ausgepumpt, natürlich Kaffee.
»Wo ist Julieta?«, fragt Shaftoe. Er macht sich allmählich Sorgen, dass sie wieder nach Finnland gezogen ist oder etwas dergleichen.
Otto wird jedes Mal, wenn er seine Wanne über den Bottnischen Meerbusen fährt, ein bisschen grauer. Heute sieht er besonders grau aus. »Hast du dieses Monstrum gesehen?«, fragt er und schüttelt dann in einer Mischung aus Verwunderung, Entrüstung und Weltmüdigkeit, wie sie nur einem zähen Finnen zu Gebote steht, den Kopf. »Diese deutschen Schweine!«
»Ich dachte, Sie beschützen euch vor den Russen.«
Das entlockt Otto ein längeres Donnergrollen von finsterem, glucksendem Lachen. » Sdrastwuite,
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