Cryptonomicon
Andy Loeb versuchte zu berechnen, welche Nahrungsmittel bestimmte Indianerstämme im Nordwesten von alters her gegessen hatten, wie viel Energie sie aufwandten, um sie zu beschaffen, und wie viel sie sich durch deren Aufnahme zuführten. Diese Berechnung wollte er für Küstenstämme wie die Salish (die leichten Zugang zu Meerestieren hatten) und für Binnenstämme wie die Cayuse (die ihn nicht hatten) durchführen, und zwar im Rahmen eines hochkomplizierten Vorhabens, mit dem er eine bestimmte These über die jeweiligen Lebensstandards dieser Stämme und deren Einfluss auf die kulturelle Entwicklung (Küstenstämme brachten unwahrscheinlich ausgefeilte Kunst hervor, während Binnenstämme hin und wieder Strichmännchen auf die Felsen kratzten) untermauern wollte.
Für Andrew Loeb war das eine Übung in meta-historischer Forschung. Für Randy Waterhouse klang es wie der Anfang eines ziemlich coolen Spiels. Erwürge eine Bisamratte und du bekommst hundertsechsunddreißig Energie-Punkte. Verlierst du die Bisamratte, sinkt deine Körperkerntemperatur um einen weiteren Grad.
Andy dachte sehr systematisch und so hatte er schlicht und einfach nicht nur sämtliche Titel nachgeschlagen, die je über solche Themen geschrieben worden waren, sondern auch alle, die in den Bibliographien dieser Bücher erwähnt wurden, und das bis ins vierte oder fünfte Glied; er hatte alle überprüft, die an Ort und Stelle verfügbar waren, und den Rest über die Fernleihe bestellt. Und die gingen über Randys Schreibtisch. Randy las ein paar und blätterte alle durch. Dabei lernte er, wie viel Speck die Arktis-Forscher essen mussten, um nicht Hungers zu sterben. Sorgfältig studierte er die Angaben zu den Feldrationen der Armee. Nach einer Weile fing er sogar an, sich in den Kopierraum zu schleichen und Schlüsseldaten zu kopieren.
Bei einem realistischen Fantasy-Rollenspiel musste man darauf achten, wie viel Nahrung die imaginären Personen bekamen und welche Mühen sie dafür auf sich nehmen mussten. Für Menschen, die im November des Jahres 5000 v.Chr. die Wüste Gobi durchquerten, wäre die Nahrungssuche zeitaufwendiger als beispielsweise für solche, die 1950 durch Mittel-Illinois reisten.
Randy war wohl kaum der erste Spieldesigner, dem das auffiel. Es gab ein paar unglaublich blöde Spiele, bei denen man gar nicht an Essen denken musste, doch dafür hatten Randy und seine Freunde nur Verachtung übrig. Bei allen Spielen, an denen er teilnahm oder die er selbst entwarf, musste man ein realistisches Maß an Anstrengungen unternehmen, um Nahrung für seine Figur aufzutreiben. Schwierig war nur die Festlegung des Begriffs realistisch. Wie die meisten Designer löste Randy dieses Problem, indem er ein paar zum Großteil frei erfundene elementare Gleichungen aneinander klatschte. In den Büchern, Artikeln und Dissertationen, die Andy Loeb über die Fernleihe bestellte, fand er jedoch die genauen Ausgangsdaten, die ein mathematisch veranlagter Mensch brauchte, um ein auf wissenschaftlichen Fakten beruhendes, ausgeklügeltes Regelwerk zu entwickeln.
Sämtliche physikalischen Prozesse zu simulieren, die im Körper jeder Figur abliefen, kam nicht in Frage, erst recht nicht in einem Spiel, bei dem man es womöglich mit hunderttausend Mann starken Armeen zu tun hatte. Selbst eine grobe Simulation mit einfachen Gleichungen und nur wenigen Variablen hätte bereits einen enormen Schreibaufwand erfordert, wenn man alles von Hand erledigen musste. All dies ereignete sich jedoch Mitte der Achtziger, als PersonalComputer billig und allgegenwärtig geworden waren. Ein Computer konnte einen umfangreichen Datenbestand automatisch abarbeiten und einem sagen, ob die einzelnen Figuren wohlgenährt oder kurz vor dem Verhungern waren. Es gab keinen Grund, es nicht auf einem Computer zu machen.
Außer man hatte, wie Randy Waterhouse, einen so beschissenen Job, dass man sich keinen Computer leisten konnte.
Aber es gibt ja immer einen Weg, ein Problem zu umschiffen. Die Universität hatte jede Menge Computer. Wenn Randy eine Benutzerkarte für einen davon bekommen würde, könnte er sein Programm darauf schreiben und umsonst laufen lassen.
Leider wurden solche Benutzerkarten nur an Studenten oder Mitglieder des Lehrkörpers vergeben und Randy war nichts von beidem.
Glücklicherweise hatte er gerade zu dieser Zeit eine Beziehung mit einer Doktorandin namens Charlene angefangen.
Wie zum Teufel aber geriet ein mehr oder minder fässchenförmiger Typ, ein
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