Cryptonomicon
Steinbröckchen herab und scheppern gegen seinen Helm.
Durch einen Wattebausch atmend, kraxelt er vorsichtig über den Haufen, bis er sehen kann, was einmal der Haupttunnel war. Das Dynamit hat die gewünschte Wirkung erzielt: Es hat die Tunneldecke in Milliarden von Splittern zertrümmert. Auf den Boden herabgestürzt, nehmen sie mehr Raum ein als die gleiche Masse in einem Stück. Der Tunnel ist mit Tonnen von losem Gestein gefüllt, und das bis zu dem Eingang am Tojo, wo Hauptmann Nodas Leute im Augenblick damit beschäftigt sind, die winzige Punktionswunde hinter Flussgestein zu verbergen.
Er spürt die kleine Explosion eher, als dass er sie hört, und weiß, dass etwas schief läuft. Im Augenblick dürfte niemand Explosionen auslösen.
Bewegung geht an diesem Ort quälend langsam vonstatten, wie in einem Albtraum, in dem man versucht, einem Dämon zu entfliehen. Um in die Ruhmeshalle zurückzukommen, braucht er so lange, dass es schon fast keinen Sinn mehr hat; was immer geschah, ist vorbei, als er dort anlangt.
Was er sieht, als er dort anlangt, ist eine Gruppe von drei Männern, die auf ihn warten: Wing, Rodolfo und der Filipino namens Bong.
»Die Soldaten?«
»Alle tot«, sagt Rodolfo ohne Umschweife, von der Dummheit der Frage irritiert.
»Und die anderen?«
»Ein Soldat hat eine Granate gezündet. Hat sich selbst und zwei meiner Leute umgebracht«, sagt Wing.
»Ein anderer Soldat hat die Granate gehört und hatte ein Messer gezogen, als Agustin ihn sich vornehmen wollte«, sagt Bong. Er schüttelt bekümmert den Kopf. »Ich glaube, Agustin war nicht bereit, einen Menschen zu töten. Er hat gezögert.«
Goto Dengo starrt Bong fasziniert an. »Und du?«
Einen Moment lang versteht Bong die Frage nicht. Dann dämmert es ihm. »O nein, ich habe nicht gezögert, Lieutenant Goto. Ein japanischer Soldat hat sich einmal auf brutalste Weise an meiner Schwester vergangen.«
Goto Dengo verharrt eine Zeit lang stumm, bis ihm auffällt, dass die anderen Männer ihn allesamt erwartungsvoll ansehen. Dann blickt er auf seine Uhr. Zu seiner Verblüffung sieht er, dass erst eine halbe Stunde vergangen ist, seit er das Dynamit gezündet hat.
»Wir haben noch anderthalb Stunden, bis die Wasserfallen geflutet werden. Wenn wir bis dahin nicht in der Kuppel sind, werden wir abgeschnitten und haben keine Fluchtmöglichkeit mehr«, sagt Goto Dengo.
»Wir gehen dorthin und warten«, schlägt Wing auf Chinesisch vor.
»Nein. Hauptmann Noda wartet draußen auf weitere Explosionen«, sagt Goto Dengo, ebenfalls auf Chinesisch; dann erklärt er, auf Englisch, den Filipinos: »Wir müssen zu bestimmten Zeiten die Sprengladungen zünden, sonst wird Noda-san misstrauisch.«
»Aber wer sie zündet, sitzt für immer in dieser Kammer fest«, sagt Rodolfo mit einer die Ruhmeshalle einschließenden Geste.
»Wir werden sie nicht von hier aus zünden«, sagt Goto Dengo und hebt den Deckel von einer Kiste. Sie enthält mehrere dicke Spulen zweiadriges Telefonkabel. Er reicht die Spulen Rodolfo, Wing und Bong. Sie verstehen sofort und beginnen, die neuen Kabel mit den hier endenden zu verbinden.
Mit Batteriepacks beladen, ziehen sie sich etappenweise durch Golgatha zurück, entrollen im Gehen die Kabel und sprengen hinter sich einen Tunnelabschnitt nach dem anderen. Dabei werden Rodolfo, Wing und Bong endlich gewisse Eigentümlichkeiten des Tunnelsystems klar. Zum ersten Mal geht ihnen in aller Deutlichkeit auf, dass Goto Dengo den gesamten Komplex mit Bedacht so konstruiert hat, dass er zwei völlig entgegengesetzten Zwecken dient. Für einen loyalen japanischen Ingenieur entspricht er genau dem, was man Goto Dengo zu bauen befahl: ein mit Sprengfallen versehenes Gewölbe. Aber für die vier darin eingeschlossenen Männer hat Golgatha noch eine zweite Funktion. Es ist eine Fluchtmaschine. Während ihnen der Zweck bestimmter Räume, Tunnel und anderer Eigentümlichkeiten der Anlage schlagartig klar wird, richten sie sich blinzelnd auf und wenden sich Goto Dengo mit dem gleichen Gesichtsausdruck zu, wie ihn vor Wochen die Soldaten trugen, als sie den Buddha im Mercedes entdeckten.
Ihr Ziel ist die Kuppel, eine Nische, die sie auf Geheiß Goto Dengos in den letzten zwei Monaten aus dem Gestein herausgehauen haben. Fragestellern gegenüber hat er behauptet, es handle sich um ein Wasserreservoir, erbaut, um die vernichtende Wirkung einer der Fallen noch zu steigern. Es ist ein breiter, senkrechter Schacht von vier Metern Durchmesser,
Weitere Kostenlose Bücher