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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Stromzähler. Im Abstand von zehn oder zwölf Metern schwelen aus unerfindlichen Gründen Schutthaufen vor sich hin.
    Als er an der Kathedrale vorbeigeht, folgen ihm Kinder, die erbärmlich jammern und betteln, bis er ihnen ein paar Pesos in die Hand drückt. Sofort strahlen sie und schenken ihm manchmal in perfektem, amerikanisch angehauchtem Werbeenglisch ein »Danke schön!« Die Bettler in Manila scheinen ihre Arbeit nie richtig ernst zu nehmen, denn sogar sie sind vom Zuchtpilz der Ironie befallen und scheinen ständig ein Grinsen zu unterdrücken, als könnten sie gar nicht glauben, dass sie etwas so Blödes tun.
    Sie verstehen nicht, dass er arbeitet. Das ist gut so.
    Ideen sind Randy schon immer schneller zugeflogen, als er sie verarbeiten kann. Die ersten dreißig Jahre seines Lebens verbrachte er damit, jede Idee, die ihm gerade in den Sinn kam, zu verfolgen, um sie wieder zu verwerfen, wenn ihm etwas Besseres einfiel.
    Jetzt arbeitet er wieder für eine Firma und hat eine gewisse Verpflichtung, seine Zeit produktiv zu nutzen. Gute Ideen kommen ihm genauso schnell und zahlreich wie immer, aber er muss den Ball im Auge behalten. Wenn die Idee für Epiphyte nicht relevant ist, muss er sie rasch schriftlich festhalten und dann erst einmal vergessen. Ist sie aber relevant, muss er seinen Drang, sich in sie zu vertiefen, zügeln und sich fragen: Hat irgendjemand vor ihm bereits diesen Gedanken gehabt? Ist es möglich, einfach loszugehen und diese Technologie zu kaufen? Kann er die Arbeit vielleicht an einen Vertragscodierer in den Staaten delegieren?
    Er geht langsam, zum einen, weil er sonst einen Hitzschlag bekommen und tot in die Gosse fallen würde. Schlimmer noch, er könnte durch eine offene Luke in einen Abwassersturzbach fallen oder eins von den Stromkabeln der illegalen Siedler streifen, die wie geduldige Giftschlangen von oben herabbaumeln. Die ständige Gefahr, unversehens durch einen Stromschlag von oben oder durch Ertrinken in flüssiger Scheiße unten umzukommen, lässt seinen Blick fortwährend nach oben und unten sowie zur Seite schweifen. Noch nie hat Randy sich so in der Falle gefühlt zwischen einem launenhaften und gefährlichen Himmel und einer höllischen Unterwelt. Dieses Land ist ebenso von Religion durchdrungen wie Indien, aber ganz und gar katholisch.
    Am nördlichen Ende von Intramuros liegt ein kleines Geschäftsviertel, eingekeilt zwischen der Kathedrale von Manila und Fort Santiago, das die Spanier gebaut haben, um den Ausfluss des Pasig zu kontrollieren. Dass es sich um ein Geschäftsviertel handelt, sieht man an den Telefonleitungen.
    Allerdings ist wie in anderen Asiatischen-Gesellschaften-auf-dem-Sprung schwer zu entscheiden, ob es illegal verlegte oder unglaublich schlampig installierte offizielle Leitungen sind. An ihnen lässt sich demonstrieren, warum eine Politik des fröhlichen Herumwurstelns schlecht ist. An manchen Stellen sind die Bündel so dick, dass Randy sie mit den Armen vermutlich nicht umfassen könnte. Mit ihrem Gewicht und ihrer Spannung ziehen sie allmählich die Telefonmasten zu Boden, vor allem in Kurven, wo die Leitungen um die Ecke führen und dadurch Seitenkräfte auf die Masten wirken.
    Alle diese Gebäude sind auf die billigste Art gebaut, die man sich nur vorstellen kann: Beton, der an Ort und Stelle über von Hand verbundene Armierungsgitter in Holzschalungen gegossen wurde. Sie sind klotzig und grau und gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Von einer nahe gelegenen großen Straßenkreuzung her ragen ein paar wesentlich höhere Gebäude mit zwanzig oder dreißig Stockwerken, durch deren zerbrochene Fenster Wind und Vögel zirkulieren, über das Viertel hinaus. Sie sind bei einem Erdbeben in den Achtzigerjahren zerborsten und wurden seitdem nicht wieder instand gesetzt.
    Er kommt an einem Restaurant vorbei, vor dem ein gedrungener Betonbunker steht, dessen Öffnungen mit geschwärzten Stahlgittern verdeckt sind und aus dem oben Auspuffrohre zum Entlüften des darin eingeschlossenen Dieselgenerators herausführen. IMMER LICHT!, hat man stolz mit Schablone überall draufgeschrieben. Dahinter steht ein Bürogebäude aus der Nachkriegszeit, vier Stockwerke hoch, in das ein besonders dickes Bündel Telefonleitungen führt. Ganz unten an der Frontseite ist das Logo einer Bank festgeschraubt. Davor können Autos schräg parken. Die zwei Plätze vor dem Haupteingang sind von handgemalten Schildern versperrt: RESERVIERT FÜR GELDTRANSPORTER und RESERVIERT FÜR

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