Cugel der Schlaue
Schlammbank gekommen?«
»Ihr habt es erraten.«
»So ist der Lauf der Welt. Aber Ihr habt Euer Leben noch vor Euch und könnt noch viel Großes tun, während ich nur noch auf mein Leben zurückblicken kann und getan habe, was ich tun konnte, und das ist nichts von sonderlicher Bedeutung.«
»Wenn die Sonne erlischt, wird alles, ob von Bedeutung oder nicht, vergessen sein.«
Nisbet stand auf und öffnete eine zweite Steinflasche. Er schenkte die Kelche voll und kehrte in seinen Sessel zurück. »Zwei Stunden Philosophieren wiegen keinen ordentlichen Rülpser auf. Ich bin Nisbet, der Steinhauer, der viel zu viele Säulen aufstocken muß und viel zu viele Neuaufträge hat. Manchmal wünsche ich mir wahrhaftig, auch ich dürfte eine Säule hochklettern und mich in der Sonne aalen.«
Eine Weile blickten die zwei Männer schweigend in die Flammen. Schließlich sagte Nisbet: »Ich sehe, Ihr seid müde. Zweifellos hattet Ihr einen anstrengenden Tag.« Er plagte sich auf die Füße und deutete. »Ihr könnt auf dem Diwan dort schlafen.«
Zum Frühstück gab es Pfannkuchen mit eingekochten Früchten, ein Geschenk der Frauen des Dorfes. Als sie satt waren, zeigte Nisbet Cugel den Steinbruch. Er deutete auf seine Ausgrabungsstätte, die er keilförmig in den Hügel geschlagen hatte.
»Alt Tustvold war eine Stadt von dreizehn Phasen, wie Ihr selbst sehen könnt. Die Bürger der vierten Ebene erbauten einen Tempel zu Ehren Miamattas,ihres Gottes der Götter. Die Überreste davon versorgen mich mit dem nötigen Weißstein … Ah, die Sonne scheint! Bald werden die Männer aus dem Dorf kommen, um ihre Säulen zu benutzen. Seht, da sind sie schon!«
Zu zweien und dreien schlenderten die Männer herbei. Cugel beobachtete, wie sie auf ihre Säulen kletterten und es sich in der Sonne bequem machten.
Verwirrt wandte Cugel sich an Nisbet: »Weshalb ruhen sie mit solcher Hingabe auf den Säulen?«
»Sie nehmen die gesunde Ausstrahlung der Sonne auf«, erklärte Nisbet. »Je höher die Säule, desto reiner und kräftiger ist diese Ausstrahlung, und umso größer ist das Ansehen ihres Besitzers. Vor allem die Frauen sind schier versessen darauf, daß ihre Männer immer höhere Säulen bekommen. Wenn sie die Terces für ein weiteres Stück bringen, möchten sie es unbedingt sofort haben und setzen mir erbarmungslos zu, bis ich die Arbeit getan habe. Und um so glücklicher sind sie, wenn ich deshalb eine ihrer Rivalinnen warten lassen muß.«
»Seltsam, daß Ihr keine Konkurrenz habt, da es doch ein einträgliches Geschäft zu sein scheint.«
»Gar nicht so seltsam, wenn Ihr die damit verbundene Arbeit bedenkt. Der Stein muß vom Tempel herbeigeschafft, behauen, von alten Inschriften befreit und poliert werden, dann eine Nummer bekommen und auf die jeweilige Säule gehoben werden. Das ist keine unbeträchtliche Arbeit, die ohne das hier unmöglich wäre.« Nisbet legte die Hand um das fünfflächige Amulett am Hals. »Eine Berührung damit hebt den Sog der Schwerkraft auf, und selbst der schwerste Gegenstand erhebt sich in die Luft.«
»Gar wundersam!« staunte Cugel. »Das Amulett ist demnach ein wertvolles Hilfsmittel bei Eurem Gewerbe.«
»›Unentbehrlich‹ ist das richtige Wort … Ha! Hier kommt die Dame Croulsx, um mich meines mangelnden Eifers zu rügen.« Eine stattliche Frau mittleren Alters mit Vollmondgesicht und rotbraunem Haar, wie offenbar alle Dorfbewohner, eilte herbei. Nisbet begrüßte sie mit größter Höflichkeit, die sie mit ungeduldiger Geste abtat. »Nisbet, erneut muß ich mich beschweren! Seit ich meine Terces bezahlte, habt Ihr zuerst Toberscs und dann Cillincxs’ Säule erhöht. Nun sitzt mein Gatte in ihrem Schatten, und ihre Weiber freuen sich über mein Ungemach! Ist etwas an meinem Geld auszusetzen? Habt Ihr meine Geschenke vergessen, das Brot und den Käse, die ich Euch durch meine Tochter Turgola schickte? Was habt Ihr dazu zu sagen?«
»Dame Croulsx, gestattet mir einen Augenblick, auch etwas zu sagen! Euer Zwanziger braucht nur noch aufgesetzt zu werden, und das wollte ich gerade Eurem Gatten mitteilen.«
»Ah, das ist eine gute Neuigkeit! Bestimmt versteht Ihr meine Besorgnis.«
»Gewiß. Doch um weitere Mißverständnisse zu vermeiden, sollte ich Euch vielleicht wissen lassen, daß sowohl Dame Tobersc als auch Dame Cillincx bereits ihre Einundzwanziger in Auftrag gegeben haben.«
Dame Croulsx’ Kinn fiel herab. »So bald? Diese Andelfeger! In diesem Fall möchte auch ich meinen
Weitere Kostenlose Bücher