Cujo
vierzehn Tage oder Gott weiß wie lange mit Tad alleingelassen zu werden, hatte er ihr genau klargemacht, was auf dem Spiel stand. Er hatte sie in Angst und Schrecken versetzt, und das gefiel ihr überhaupt nicht.
Bis heute morgen hatte sie die Sache mit den roten Himbeerflakes als Witz betrachtet - als einen guten Witz, wenn er auch auf Vics und Rogers Kosten ging. Sie hatte nicht im Traum daran gedacht, daß diese absurde Angelegenheit so ernste Folgen haben konnte.
Dann hatte Tad sich geweigert, auf den Spielplatz zu gehen, und geklagt, daß ein größerer Junge ihn am letzten Freitag umgestoßen hätte. Der Junge hieß Stanley Dobson, und Tad hatte Angst, daß Stanley Dobson ihn heute wieder umstoßen könnte. Er hatte geweint und sich an sie geklammert, und als sie seine Finger einzeln von ihrer Bluse lösen mußte, war sie sich schrecklich vorgekommen. Manchmal wirkte Tad für sein Alter so jung und so verletzlich. Sollten Kinder nicht eigentlich frühreif und gerissen sein? Er hatte Schokoladenfinger gehabt, und die Abdrücke hatte sie jetzt auf der Bluse. Sie erinnerten sie an die blutigen Handabdrücke, die man manchmal in billigen Kriminalfilmen sah.
Zu allem Überfluß hatte sich ihr kleiner Wagen auf der Rückfahrt vom Markt komisch benommen. Der Motor hatte gespuckt und gestottert, als hätte er Schluckauf. Nach einiger Zeit war es besser geworden, aber was einmal passierte, konnte wieder passieren und -
Und jetzt war auch noch Steve Kemp gekommen.
»Das läuft nicht mehr«, murmelte sie, nahm die Tasche mit den Lebensmitteln und stieg aus, eine hübsche, dunkelhaarige Frau von neunundzwanzig, groß, mit grauen Augen. Trotz der erbarmungslosen Hitze, der von Tad beschmierten Bluse und der grauen Shorts, die ihr an den Hüften und zwischen den Beinen klebten, brachte sie es fertig, einigermaßen frisch auszusehen. Rasch eilte sie die Stufen hoch und betrat das Haus durch die Verandatür. Steve saß im Wohnzimmer in Vics Sessel und trank Vics Bier. Er rauchte eine Zigarette - wahrscheinlich eine von seinen eigenen. Das Fernsehgerät war eingeschaltet, und in Farbe sah man das Elend im General Hospital.
»Die Prinzessin kommt«, sagte Steve mit dem schiefen Grinsen, das sie früher so charmant und attraktiv gefunden hatte. »Ich dachte, du würdest überhaupt nicht…«
»Mach, daß du rauskommst, du Hurensohn«, sagte sie tonlos und ging in die Küche. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch und fing an, die Sachen wegzupacken. Sie wußte nicht mehr, wann sie das letzte Mal so wütend gewesen war, so wütend, daß sie Magenschmerzen bekam. Vielleicht bei einer der endlosen Streitereien mit ihrer Mutter. Es waren die reinsten HorrorShows gewesen, bis sie dann endlich ins Internat kam. Als Steve hinter sie trat und ihr seine braungebrannten Arme um die nackte Taille legte, handelte sie ohne jede Überlegung; sie stieß ihm den Ellbogen in den Leib. Die Tatsache, daß er den Stoß erwartet hatte, trug nicht dazu bei, sie freundlicher zu stimmen. Er spielte häufig Tennis, und es war ein Gefühl, als sei sie mit dem Ellbogen gegen eine mit Hartgummi beschichtete Steinwand geprallt.
Sie drehte sich um und sah sein grinsendes bärtiges Gesicht. Sie war ein Meter achtzig groß und drei Zentimeter größer als Vic, wenn sie hochhackige Schuhe trug. Aber Steve war fast einsfünfundneunzig.
»Hast du nicht gehört? Mach, daß du rauskommst!«
»Aber warum denn?« fragte er. »Der Kleine ist weg und bastelt einen Lendenschurz aus Perlen oder schießt mit Pfeil und Bogen den Ratsherren Äpfel von den Köpfen, oder was sie» da sonst so tun … der liebe Gatte wälzt im Büro Probleme … und jetzt werden Castle Rocks schönste Hausfrau und Castle Rocks Stadtpoet und Tennismeister alle Glocken sexueller Vereinigung in schöner Harmonie erklingen lassen.«
»Du parkst in der Auffahrt. Warum hängst du nicht gleich ein Schild an deinen Lieferwagen? ICH BUMSE GERADE DONNA TRENTON oder etwas ähnlich Witziges?«
»Ich mußte in der Auffahrt parken« sagte Steve immer noch lächelnd. »Ich habe die Kommode hinten im Wagen. Den Lack habe ich abgeschliffen. Sie ist sozusagen nackt, und so will ich dich auch gleich sehen, mein Schatz.«
»Du kannst sie auf die Veranda stellen. Ich kümmere mich dann schon darum. Ich schreibe inzwischen einen Scheck aus.«
Er lächelte nicht mehr. Zum ersten Mal seit sie nach Hause gekommen war, sah sie hinter der glatten Fassade sein wahres Gesicht, den wahren Menschen. Es war ein
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