Cujo
abwaschen, dachte sie. Dann abtrocknen. Dann das Geschirr wegräumen. Dann Tad ein paar Geschichten vorlesen. Und dann geht die Welt unter.
Ihre panische Angst war von einem tiefen Schuldgefühl abgelöst worden. Dem Schuldgefühl war nacktes Entsetzen gefolgt. Dann hatte sich eine Art fatalistische Apathie eingestellt, und diese Apathie brachte sogar eine gewisse Erleichterung. Das Geheimnis war aufgedeckt. Sie wußte nicht, ob es Steves Schuld war oder ob Vic von selbst darauf gekommen war. Sie tippte eher auf Steve, aber das spielte eigentlich keine Rolle. Es war auch eine Erleichterung, daß Tad ruhig in seinem Bett lag und schlief. Aber was würde am Morgen sein, wenn er aufwachte? Und jetzt war der Kreis geschlossen.
Sie empfand wieder panische Angst. Sie fühlte sich elend und verloren.
Er trat vom Fenster zurück und sagte: »Ich habe heute einen Brief bekommen. Einen Brief ohne Unterschrift.«
Er konnte nicht weitersprechen. Unruhig ging er im Zimmer auf und ab. Wie gut er aussieht, dachte sie plötzlich. Sie fand es schade, daß er so früh grau wurde. Bei manchen jüngeren Männern sah es gut aus, aber Vic würde nur vorzeitig gealtert wirken und -
- und wieso mußte sie jetzt ausgerechnet an sein Haar denken? Sein Haar war im Augenblick wirklich ihre geringste Sorge.
Ganz leise sagte sie, was zu sagen war, und sie merkte, daß ihre Stimme zitterte. Sie spuckte es aus wie eine bittere Medizin, die man nicht schlucken konnte: »Steve Kemp. Der Mann, der deinen Schreibtisch hergerichtet hat. Fünfmal. Nie in unserem Bett, Vic. Nie.«
Vic griff nach der Packung Winston auf dem kleinen Tisch am Sofa und stieß sie auf den Fußboden. Er hob sie auf, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie an. Seine Hände zitterten stark. Sie sahen aneinander vorbei. Das ist schrecklich, dachte Donna. Wir sollten uns in die Augen sehen. Aber sie wollte nicht den-Änfang machen. Sie hatte Angst, und sie schämte sich. Er hatte nur Angst.
»Und warum hast du es getan?«
»Ist das wichtig?«
»Für mich ist es wichtig. Sehr wichtig. Außer du willst dich von mir trennen. Dann spielt es wohl keine Rolle mehr. Ich kann dir meine Wut gar nicht beschreiben, Donna. Aber ich lasse mich davon … nicht hinreißen, denn wir müssen jetzt offen miteinander reden, und wenn es das letzte Mal ist. Willst du dich von mir trennen?«
»Sieh mich an, Vic.«
Es kostete ihn Überwindung, aber er tat es. Vielleicht war er wirklich so wütend, wie er behauptete, aber sie erkannte bei ihm nur Angst, elende Angst. Plötzlich traf es sie wie ein Boxhieb. Sie sah, wie sehr er am Ende war. Die Agentur steckte in einer schweren Krise. Das war schlimm genug. Und jetzt, wie ein scheußliches Dessert dem verdorbenen Hauptgang folgt, steckte auch seine Ehe in einer schweren Krise. Und plötzlich empfand sie nichts als Zärtlichkeit für diesen Mann, den sie oft gehaßt und während der letzten drei Stunden gefürchtet hatte. Es war wie eine Offenbarung. Sie wünschte sich so sehr, daß er immer glauben möge, es sei nur Wut gewesen … und nicht das, was so deutlich in seinem Gesicht zu lesen war.
»Ich will mich nicht von dir trennen«, sagte sie. »Ich liebe dich. Während der letzten paar Wochen hat sich das für mich wieder bestätigt.«
Einen Augenblick schien er erleichtert zu sein. Er trat wieder an das Fenster und ging dann zur Couch zurück. Er setzte sich und sah sie an.
»Und warum hast du es dann getan?«
Das zärtliche Gefühl verwandelte sich in Empörung. Warum! Eine typische Männerfrage. Ihr Ursprung lag tief in der Vorstellung verwurzelt, die sich ein intelligenter Mann, der im Westlichen Kulturkreis des zwanzigsten Jahrhunderts lebte, von Männlichkeit machte. Ich muß wissen, warum du es getan hast. Als sei sie ein Auto mit einem defekten Nadelventil, dessen Motor stotterte, oder ein Roboter mit einem durcheinandergeratenen Programm, so daß er das Dinner schon zum Frühstück servierte. Was die Frauen in Weißglut versetzt, dachte sie plötzlich, ist vielleicht gar nicht der Sexismus. Es ist das verrückte Streben der Männer nach Vollkommenheit.
»Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann. Es hört sich wahrscheinlich albern und unwichtig und trivial an.«
»Versuch’s doch. War es …«Er räusperte sich, spuckte sich im Geiste in die Hände (wieder dieser verdammte Versuch,
Nägel mit Köpfen zu machen). »Habe ich dich nicht befriedigt? War es das?«
»Nein«, sagte sie.
»Was dann?« fragte er hilflos. »Um
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