Cujo
Gottes willen, was?«
Okay… du willst es nicht anders..
»Angst«, sagte sie. »Ich glaube, es war hauptsächlich Angst.«
»Angst?«
»Wenn Tad in der Schule war, gab es nichts, was mir die Angst nehmen konnte. Tad war wie … wie nennt man das? … weißes Rauschen. Wie das Geräusch im Fernsehen, wenn der Sender sich ausschaltet.«
»Er geht doch noch gar nicht zur Schule«, sagte Vic schnell, und sie merkte, daß er ärgerlich wurde. Gleich würde er ihr vorwerfen, sie wolle alles auf Tad abwälzen, und wenn er erst einmal wütend war, würden böse Worte fallen, und das durfte nicht sein. Wenigstens jetzt nicht. Es gab Dinge, die sie, wie sie nun einmal war, nicht auf sich sitzen lassen konnte. Die Situation würde eskalieren. Etwas sehr Zerbrechliches würde zwischen ihnen hin und her geworfen werden. Wie leicht konnte man es dabei fallen lassen.
»Das gehört aber dazu«, sagte sie. »Er geht noch nicht zur Schule. Ich hatte ihn die meiste Zeit zu Hause, aber wenn er weg war … dieser Kontrast…« Sie sah ihn an. »Die Stille kam mir so laut vor. Und da fing meine Angst an. Nächstes Jahr geht er in den Kindergarten, dachte ich. Dann ist er statt dreimal in der Woche jeden Tag einen halben Tag weg. Und im Jahr darauf an fünf Tagen den ganzen Tag. Und dann würde ich so viel Zeit haben. Ich hatte einfach Angst davor.«
»Und da kam dir der Gedanke, die Zeit dazu zu verwenden, mit anderen Männern zu bumsen?« fragte er bitter.
Das saß, aber sie erzählte weiter. Sie erklärte es ihm, so gut sie konnte, phne laut zu werden. Er hatte gefragt. Und jetzt wollte sie ihm alles sagen.
»Ich hatte keine Lust, mich in irgendeinem Frauenverein zu betätigen’oder im Bibliotheks- oder Krankenhausausschuß mitzuarbeiten. Ich wollte keine Kochrezepte austauschen. Ich wollte nicht immer wieder dieselben langweiligen Gesichter sehen und ständig die gleichen Klatschgeschichten hören. Ich wollte nicht wissen, wer in dieser Stadt was tut. Ich wollte mir nicht an anderen Leuten das Maul wetzen.«
Ihre Worte sprudelten nur so hervor. Sie hätte nicht aufhören können, auch wenn sie es gewollt hätte.
»Ich wollte nicht an Wohltätigkeitsveranstaltungen teilnehmen. Ich wollte keine Partys geben und bei den Weight Watchers wäre ich fehl am Platze. Du …«
Sie schwieg für den Bruchteil einer Sekunde und empfand die Bedeutung ihres Gedankens.
»Du kennst diese Leere nicht, Vic. Du bist ein Mann, und Männer kämpfen. Männer kämpfen, und Frauen wischen Staub. Und wenn man in den leeren Räumen Staub wischt, hört man manchmal draußen den Wind wehen. Aber, weißt du, manchmal kommt es einem so vor, als wehte der Wind nicht draußen, sondern im Zimmer. Man legt also eine Platte auf. Bob Seger oder J J. Cale oder sonstwen, und man hört den Wind immer noch, und man hat Gedanken und Ideen, keine guten, aber man hat sie. Also reinigt man beide Toiletten, dann reinigt man die Spüle, und eines Tages geht man zu einem der Antiquitätengeschäfte in der Stadt und sieht die kleinen Nippessachen aus Porzellan und erinnert sich daran, daß auch Mutter solche hatte, daß alle Tanten ganze Regale voll hatten, daß auch Großmutter diese Nippessachen hatte.«
Er sah sie aufmerksam an und wirkte so verblüfft, daß sie von Verzweifung gepackt wurde.
»Ich rede von Gefühlen, nicht von Tatsachen!«
»Ja, aber warum …«
»Das will ich dir doch gerade erzählen. Es wurde so schlimm, daß ich dauernd vor dem Spiegel stand, um zu sehen, wie mein Gesicht sich veränderte, zu erkennen, daß kein Mensch mich mehr für einen Teenager halten oder mich nach meinem Ausweis fragen würde, wenn ich irgendwo in einer Bar einen Drink bestellte. Ich hatte Angst, weil ich älter wurde. Tad geht zur Vorschule, und das bedeutet, daß er bald zur Schule kommt, und eines Tages …«
»Willst du damit sagen, daß du dir einen Liebhaber genommen hast, weil du dich alt fühltest?« Er sah sie überrascht an, und dafür liebte sie ihn, denn das war Teil ihrer Ängste. Steve
Kemp hatte sie attraktiv gefunden, und das war natürlich schmeichelhaft. Das war der Grund, warum ihr der Flirt Spaß gemacht hatte. Aber das hatte nicht die wichtigste Rolle dabei gespielt.
Sie nahm seine Hände und sprach ganz ernst mit ihm. Sie dachte - wußte -, daß sie vielleicht nie wieder so ernst (oder ehrlich) mit einem Mann sprechen würde. »Es ist mehr. Es ist das Wissen, daß man nicht mehr darauf warten kann, erwachsen zu werden. Daß man sich mit dem,
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