Cujo
konnte.
Sie schloß die Augen und versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Die von dieser Erinnerung wachgerufenen Emotionen beunruhigten sie. Tierschutzverein, Treibhauseffekt, Müllzerkleinerer, was kam als nächstes? Wie ich meine Unschuld verlor? Der Briefträger, das ist das einzige, was jetzt interessiert. Der gottverdammte Briefträger.
»Mommy, vielleicht springt das Auto jetzt an.«
»Honey, ich habe Angst, es zu versuchen. Die Batterie hat nicht mehr viel Strom.«
»Aber wir sitzen nur hier«, sagte er gereizt und müde und böse. »Was macht es, wenn die Batterie keinen Strom hat, wenn wir nur hier sitzen? Versuch es doch!«
»Fang nicht an, mich herumzukommandieren, Kleiner, oder ich hau dir den Arsch voll!« ‘
Er zuckte zurück, als er ihre heisere, keifende Stimme hörte, und sie verwünschte sich. Er wurde langsam unruhig … und wer wollte ihm das verdenken? Außerdem hatte er recht. Deshalb war sie auch so wütend geworden. Aber Tad begriff nicht. Sie wollte den Wagen nicht starten, weil sie Angst hatte, den Hund damit anzulocken. Sie hatte Angst, daß Cujo kommen würde, und das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Grimmig schaltete sie die Zündung ein. Der Motor drehte jetzt ganz langsam und mit einem schleppenden, protestierenden Geräusch. Er hustete zweimal, aber er sprang nicht an. Sie zog den Schlüssel ab und drückte auf die Hupe. Sie gab nur ein schwaches Signal, das wahrscheinlich keine hundert Meter weit zu hören war, geschweige denn im Haus unten am Hügel.
»”Siehst du?« sagte sie brutal. »Bist du jetzt zufrieden? Gut.«
Tad fing an zu weinen. Es fing so an, wie sie es noch aus der Zeit kannte, als er ein Baby war: Er verzog den Mund, seine Lippen begannen zu zittern, und die ersten Tränen rollten ihm schon über das Gesicht, bevor er anfing zu schluchzen. Sie nahm ihn in den Arm und sagte, daß es ihr leid täte, daß sie nicht mehr schimpfen wolle, daß sie selbst aufgeregt sei. Sie sagte, daß sie beide nur noch auf den Briefträger warten müß-ten, und dann würde sie mit ihm nach Hause fahren und ihm die Haare waschen. Und sie dachte: Eine bessere Frau werden als deine Mutter. Daß ich nicht lache, Mädchen. Du bist genau wie sie. Sie hätte in dieser Situation genau dasselbe gesagt. Wenn du dich schlecht fühlst, müssen alle ändern darunter leiden. Na ja, wie die Mutter, so die Tochter. Und wenn Tad groß ist, wird er über dich genauso denken wie du über deine -
»Warum ist es so heiß, Mommy?« fragte er dumpf.
»Der Treibhauseffekt«, antwortete sie, ohne überhaupt nachzudenken. Sie war dieser Sache nicht gewachsen, und das wußte sie jetzt. Wenn dies in irgendeiner Weise eine Abschluß-prüfung für Mütter wäre - oder auch nur für Erwachsene -, dann war sie durchgefallen. Wie lange saßen sie in dieser Einfahrt fest? Allerhöchstens fünfzehn Stunden. Und sie stand vor dem Zusammenbruch, vor der völligen Auflösung.
»Kriege ich eine Limonade, wenn wir nach Hause kommen, Mommy?« Die Worte an die Ungeheuer lagen zerknüllt auf seinem Schoß.
»So viel du möchtest«, sagte sie und drückte ihn fest an sich. Aber sein Körper fühlte sich so erschreckend hölzern an. Ich hätte ihn nicht anschreien sollen, dachte sie zerstreut. Wenn ich nur nicht geschrien hätte.
Aber ab sofort würde sie es besser machen, gelobte sie sich. Denn der Briefträger würde bald kommen.
»Ich glaube, das Unge … ich glaube, der Hund will uns fressen«, sagte Tad.
Sie setzte zu einer Antwort an, aber sie schwieg. Cujo war immer noch nicht in der Nähe. Das Geräusch des Motors hatte ihn nicht angelockt. Vielleicht schlief er. Vielleicht hatte er Krämpfe bekommen. Das wäre schön … besonders, wenn er ganz langsam unter Schmerzen gestorben war. Ihr Blick fiel wieder auf die Hintertür. Sie lag so verlockend nahe. Sie war abgeschlossen. Das wußte sie jetzt ganz sicher. Wenn Leute wegfahren, schließen sie vorher ab. Es wäre tollkühn, zur Tür zu rennen, zumal der Briefträger bald kommen mußte. Tu so, als sei es ein Ernstfall, sagte Vic manchmal. Ihr blieb nichts anderes übrig, denn dies war ein Ernstfall. Lieber glauben, daß der Hund noch lebte und gleich hinter dem halb geöffneten Garagentor lag. Im Schatten lag.
Bei dem Gedanken an Schatten wurde ihr der Mund wäßrig.
Es war fast elf Uhr. Fünfundvierzig Minuten später sah sie an Tads Seite des Wagens jenseits der Einfahrt etwas im hohen Gras liegen. Fünfzehn Minuten später wußte sie, daß es ein alter
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