Cujo
die Haare waschen, dachte sie wirr, und dabei fiel ihr die’ Flasche Haarwaschmittel ein, die zu Hause ruhig und sicher im Badezimmer stand und darauf wartete, daß sie jemand herunternahm und sich etwas davon in die Hand goß.
(verlier nicht wieder deine Selbstkontrolle)
Nein, natürlich nicht. Sie hatte keinen Grund, die Selbstkontrolle zu verlieren. Alles würde gut werden, oder etwa nicht? Natürlich. Der Hund war nicht in Sicht. Sie hatte ihn schon über eine Stunde nicht mehr gesehen. Und der Briefträger. Es war jetzt fast zehn Uhr. Der Briefträger mußte bald kommen, und dann würde es ihr nichts mehr ausmachen, daß es im Wagen so heiß war. »Den Treibhauseffekt« nannte man es. Das hatte sie mal in einer Broschüre vom Tierschutzverein gelesen, in der erklärt wurde, warum man seinen Hund nicht lange im Wagen lassen durfte, wenn es so heiß war wie jetzt. Der Treibhauseffekt. In der Broschüre hatte gestanden, daß in einem geparkten Auto bei geschlossenen Fenstern Temperaturen von bis zu sechzig Grad entstehen können. Darum war es grausam und gefährlich, seinen Hund einzuschließen, wenn man einkaufen ging oder sich einen Film ansah. Donna lachte auf. Hier saß der Schuh allerdings am falschen Fuß. Hier hatte der Hund die Menschen eingesperrt.
Aber der Briefträger würde kommen. Der Briefträger würde kommen, und dann war alles ausgestanden. Es spielte keine Rolle, daß sie nur noch eine viertel Thermosflasche Milch hatten, oder daß sie heute morgen gemußt hatte. Sie hatte Tads kleine Thermosflasche benutzt - oder hatte es versucht -, und sie war übergelaufen, und jetzt stank der Wagen nach Urin, ein übler Gestank, der durch die Hitze nur noch schlimmer wurde. Sie hatte die Thermosflasche zugeschraubt und aus dem Fenster geworfen. Sie hatte gehört, wie sie auf dem Kies zerschellte. Dann hatte sie geweint.
Aber all das spielte keine Rolle. Es war demütigend, versuchen zu müssen, in eine Thermosflasche zu urinieren, aber es war ohne Bedeutung, denn bald würde der Briefträger kommen. Vor dem efeubewachsenen Backsteingebäude der Post in der Carbine Street belud er jetzt schon seinen Wagen … oder vielleicht hatte er schon seine Runde begonnen und war schon unterwegs, die 117 entlang zur Maple Sugar Road. Bald war alles zu Ende. Sie würde mit Tad nach Hause fahren und nach oben gehen. Sie würden sich ausziehen und gemeinsam duschen. Aber bevor sie mit Tad in die Badewanne und unter die Dusche ging, würde sie die Flasche mit dem Shampoo von der Abläge nehmen, die Kappe abschfauben und vorsichtig auf die Kante des Waschbeckens stellen und zuerst Tad, dann sich selbst die Haare waschen.
Tad las schon wieder den gelben Zettel, und stumm bewegten sich seine Lippen. Kein richtiges Lesen, nicht wie er in ein paar Jahren lesen würde (wenn wir hier je herauskommen, fügte ihr heimtückischer Verstand sofort hinzu), aber er las wie man eben liest, wenn man etwas auswendig gelernt hat. Wie die Fahrschulen funktionale Analphabeten auf die schriftliche Prüfung vorbereiten. Das hatte sie auch irgendwo gelesen oder vielleicht in einer Fernsehsendung gehört. War es nicht erstaunlich, wieviel Mist das menschliche Gehirn speichern konnte? Und war es nicht erstaunlich, wie leicht das Gehirn es alles wieder ausspucken konnte, wenn es sich nicht mit etwas anderem beschäftigte? Wie ein Müllschlucker im Rückwärtsgang -
Dabei dachte sie an einen Zwischenfall im Haus ihrer Eltern, bei denen sie damals noch wohnte. Knapp zwei Stunden vor einer von Mutters berühmten Cocktail-Partys (so nannte Donnas Vater sie immer ironisch, was Samantha in helle Wut versetzte) hatte der Müllzerkleinerer in der Küchenspüle nicht richtig funktioniert, und als ihre Mutter das Gerät wieder einschaltete, um die Abfälle loszuwerden, war grünlicher Dreck bis an die Decke geschossen. Donna war damals vierzehn gewesen, und sie wußte jetzt noch, wie die hysterische Wut ihrer Mutter sie erschreckt und angewidert hatte. Es hatte sie angewidert, weil ihre Mutter sich vor den Leuten so gehen ließ, und sie war erschrocken gewesen, weil der Wutanfall ihrer Mutter so völlig unlogisch war … und weil sie in den Augen ihres Vaters den Ausdruck einer Art resignierten Ekels gesehen hatte. Das war das erste Mal gewesen, daß sie sich fest vorgenommen hatte, wenigstens zu versuchen, eine bessere Frau zu werden als ihre Mutter, die sich wegen einer solchen Kleinigkeit in einen so furchterregenden Zustand hineinsteigern
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