Cupido #1
Fischerhütte wurde sie das Bild nicht mehr los. Die Leiche hing mit Angelschnur am mürben Gebälk der niedrigen Decke, Morgan Webers zierlicher Körper schwebte dort wie eine Fledermaus, Arme und Beine weit auseinander gespreizt wie bei einem Akrobaten oder einem Schlangenmenschen. Der Hals war schwanengleich zur Decke gebogen, verdrahtet und an einen Balken festgeschnürt. Sie war schon so lange tot, dass von ihrer Lei che fast nur das Skelett geblieben war, hier und da klebten noch ein paar schwarze Stücke Fleisch an ihren zarten Knochen. Anhand des Führerscheins, der vollgespritzt mit ihrem Blut unter der Leiche lag, war eine schnelle vorläufige Identifizierung möglich gewesen. Sie wurde später durch die Zahnarztunterlagen bestätigt.
Es war eindeutig Cupidos Werk. Die Unmengen von Blut auf dem Boden unter der Leiche und die Blutspritzer an den Wänden und an der Decke wiesen daraufhin, dass Morgan an der Stelle getötet worden war, an der sie hing. Die Grausamkeit und Niedertracht des Mordes, die ausgefeilte Inszenierung an dem abgelegenen Ort – das war genau Cupidos Stil. Ironischerweise war es eben diese Präzision, die Sorgfalt, die besondere Inszenierung, die Bantling zu Fall bringen könnte. Denn so, wie Morgan Webers Leiche wie im Flug an unsichtbarer Angelschnur unter der Decke der dunklen Hütte hing, erinnerte sie geradezu unheimlich an die Fotos der ausgestopften Vögel aus Bantlings Gartenhäuschen. Mit der Anklageschrift in der Hand betrat C. J. den überfüllten Gerichtssaal, der voller montagmorgendlicher Antragsteller war und natürlich voller Presse, die mit angehaltenem Atem auf die große offizielle Anklage der Staatsanwaltschaft wartete. Aufgeregtes Murmeln erhob sich, als sich C. J. nach links zur Galerie begab, wo die Ankläger auf den Aufruf ihres Falls warteten.
Die Angeklagten waren bereits hereingebracht worden, und aus dem Augenwinkel sah sie den knallroten Overall in der Ecke der Geschworenenbank, wieder ein Stück abseits von den anderen Gefangenen, zwischen zwei Gefängnisbeamten. Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen, stattdessen starrte sie auf das Papier in ihren verschwitzten Händen.
Richter Leopold Chaskel III. sah von der Tagesordnung auf und entdeckte den Grund für das Getuschel. Er schnitt einem jämmerlichen Pflichtverteidiger das Wort ab, der gerade für seinen drogensüchtigen Mandanten einen Therapieplatz verlangte, und richtete sich direkt an C. J.
«Ms. Townsend. Guten Morgen. Ich glaube, Sie stehen heute Vormittag auf meiner Tagesordnung.»
«Ja, Euer Ehren, das stimmt.» C. J. trat jetzt zum Podium der Anklage.
«Anscheinend bin ich der glückliche Richter, der den Fall Florida gegen William Bantling zu hören bekommt, kann das sein?»
«Ja, Euer Ehren, Sie haben das große Los gezogen – er gehört jetzt Ihnen.»
«Schön. Ist die Verteidigung auch anwesend?»
«Jawohl, Euer Ehren. Lourdes Rubio für den Angeklagten, und er ist ebenfalls da, Euer Ehren», sagte Lourdes. Sie stand wie ein Schatten neben ihrem Mandaten auf der Geschworenenbank.
«Gut. Dann wollen wir das mal erledigen.» Richter Chaskel wandte sich an den Pflichtverteidiger, der sich immer noch nicht abwimmeln lassen wollte, und sagte mit ernster Stimme: «Ich werde mich gleich mit Ihnen und Ihrem Mandanten befassen, Mr. Madonna. Bitte seien Sie nicht beleidigt, aber heute ist erst Montag, und Sie dürfen diese Woche noch dreimal bei mir vorsprechen. Hank, bringen Sie mir die Akte Bantling.»
Richter Leopold Chaskel III. war der Traum eines jeden Staatsanwaltes. Er war selbst einer gewesen und ließ sich von der Verteidigung ungern auf der Nase herumtanzen. Er hörte sich beide Seiten gründlich an, hasste Tricks oder Gewinsel, und seine Berufungsquote war äußerst gering.
«Also gut. Bitte weisen Sie sich fürs Protokoll aus.»
«C. J. Townsend für den Staat Florida.»
«Lourdes Rubio für die Verteidigung.» Auch Lourdes kam jetzt nach vorn.
«Wir sind heute hier in der Sache Florida gegen William Bantling. Heute ist der einundzwanzigste Tag. Hat die Staatsanwaltschaft etwas vorzubringen?»
«Ja, Richter. Die Grand Jury hat Anklage gegen William Rupert Bantling erhoben im Fall F–zweitausend–eins–sieben–vier–zwei–neun wegen Mordes an Anna Prado.» C. J. übergab der Protokollführerin die Anklageschrift.
«Gut», sagte Richter Chaskel und nahm das Dokument entgegen. «Mr. Bantling. Der Staat beschuldigt Sie des Mordes. Wie bekennen Sie sich zu diesen
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