Cupido #1
Dienstagnachmittag aus dem Jamaica Hospital entlassen wurde. Gerade mal sechs Tage, nachdem sie bewusstlos auf einer Trage hereingerollt worden war, kam Dr. Broder in ihr vor Blumen überquellendes Zimmer und teilte Chloe lächelnd mit, dass es ihr jetzt wieder «gut» gehe und dass sie am gleichen Nachmittag nach Hause könne. Diese Nachricht hatte ihr Angst eingejagt – sie zitterte schon den ganzen Tag, und ihr Puls raste, während der Zeitpunkt ihrer Entlassung immer näher rückte.
Ihre Mutter war widerwillig Chloes Ratschlag gefolgt und hatte in der New York Times anstatt der Immobilienanzeigen die Todesanzeigen studiert. Innerhalb von zwei Tagen hatte sie auf diese Weise eine Zweizimmerwohnung für Chloe gefunden, im achtzehnten Stockwerk der North Shore Towers in Lake Success, jenseits der Grenze zwischen Queens und Nassau County. Eine neunzigjährige Witwe hatte sich die Wohnung mit ihrem siebzehnjährigen Kater Tibby geteilt. Tibby hatte Pech gehabt: Die Witwe war vor ihm gestorben. Mit Hilfe zweier druckfrischer Hundertdollarscheine konnte Chloe sofort einziehen. Ihre Mutter sagte, es sei hübsch, für New Yorker Verhältnisse.
Chloe hatte beschlossen, nie wieder einen Fuß in das Apartment ib auf der Rocky Hill Road zu setzen. Niemals. Auch Bayside würde sie nie wieder betreten. Außer Pete, dem Wellensittich, wollte sie nichts aus ihrer alten Wohnung wieder sehen, vor allem nichts aus dem Schlafzimmer. Sie bat ihre Eltern von ihrem Krankenhausbett aus, alles zu verkaufen, zu verbrennen oder zu verschenken. Sie sollten damit tun, was sie wollten, Hauptsache nichts und niemand, Michael und ihre Eltern eingeschlossen, fuhr jemals auf direktem Weg von ihrem alten Apartment zu ihrem neuen.
Ihr war klar, dass Michael sie für reichlich paranoid hielt. Es schien ihm sehr weit hergeholt, dass der Vergewaltiger abwartete und sie alle beobachtete und verfolgte, um herauszufinden, wo Chloe hinzog. Michael fand es richtig, dass sie aus Bayside fortging, doch er verstand nicht, warum sie nicht einfach bei ihm einzog. Und er weigerte sich grundsätzlich, sein Apartment in Manhattan aufzugeben.
«Chloe, hast du eigentlich eine Ahnung, wie schwer es ist, hier ein mietpreisgebundenes Apartment zu finden?», fragte er. «Ich habe anderthalb Jahre lang danach suchen müssen!»
Es quälte sie, ihm ihre Argumente aufzuzählen. «Michael, er weiß alles. Er weiß alles über mich, und er weiß alles über dich. Wahrscheinlich hat er mich auf dem Weg zu dir beschattet, oder er ist dir bis nach Hause gefolgt. Vielleicht ist er auch einer deiner Nachbarn, und er ist mir von deiner Wohnung aus nachgegangen. Und vielleicht bist du bereit, es für deine blöde Mietpreisbindung darauf ankommen zu lassen, aber ich bin es nicht. Und ich werde deine Wohnung nie wieder betreten. Niemals. Das musst du doch kapieren!»
Es war ein hitziges Gespräch gewesen. Zu hitzig. Sie war in Tränen ausgebrochen, und er hatte sehr vernehmlich geseufzt. Um sie zu trösten, versprach er, «zu tun, was er konnte», aber er könnte unmöglich sofort ausziehen. Also schlug er vor, dass sie erst einmal ein neues Apartment für sie fanden. Er ging aus dem Zimmer, um zu telefonieren, und nach zehn Minuten kam er zurück und verkündete, er müsse jetzt ins Büro. Zwei Stunden später kam ein Blumenstrauß mit einem Brief, in dem einfach nur stand: «In Liebe, Michael.» Das war am Freitag gewesen. Das ganze Wochenende lang hatte er gearbeitet.
Also hatte Chloes Mom für sie die Wohnung in den North Shore Towers gefunden, deren Fenster hoch über der Straße lagen. Sie bot einer allein stehenden Frau in der Großstadt alle Vorzüge: einen Pförtner, doppelte Sicherheitsschlösser, ein Alarmsystem mit Bewegungsmelder und eine moderne Gegensprechanlage. Am
Sonntag hatten ihre Eltern den Fernseher, Küchentisch und –stühle und Pete herübergebracht. Alles andere besorgten sie bei Sears neu. Am Montag fuhr die Heilsarmee mit einem großen roten Lastwagen in der Rocky Hill Road vor. Zwei muskulöse Arbeiter zerrissen die Reste des gelben Absperrbands der Polizei, die noch an der Tür von Apartment ib hingen, und dankbar wuchteten sie alles, was von Chloes früherem Leben übrig war, auf die Ladefläche. Auf dem leeren Wohnzimmerboden hinterließen sie eine Quittung. Und so ging an einem regnerischen grauen Montagnachmittag, unter den Blicken einiger weniger neugieriger Hausbewohner, Chloes Leben in Bayside, Queens, leise zu Ende. Ihr Vater
Weitere Kostenlose Bücher