Curia
auf dem Architrav des Eingangs auf: »Ich bin das, was war, ich bin das, was ist, und das, was sein wird, kein Sterblicher enthüllte je mein Geheimnis.« Nachdem sie durch das Portal geschritten waren, umfingen sie das Halbdunkel, das Psalmodieren der Priester und der Duft des kyphi , der aus den Glutbecken aufstieg.
Der Hohepriester Sothek, ein stiernackiger Riese in einem Leopardenfell, kam ihnen mit einer Fackel entgegen. Er verbeugte sich vor Nepher und führte die Gruppe in den heiligsten Bezirk. Dort schob er einen Tabernakel aus vergoldetem Holz beiseite und drückte mit seinem Körpergewicht gegen die Wand. Der Sandsteinblock drehte sich einmal um sich selbst. Sie bückten sich, traten durch die Öffnung und stiegen eine in den Fels gehauene, steile Treppe hinab. Unten angekommen, gingen sie durch einen langen Gang. Zu beiden Seiten standen große Statuen des Gottes Thoth aus schwarzem Basalt. Die menschliche Gestalt mit einem Ibiskopf hielt einen Papyrus in der einen und einen Griffel in der anderen Hand. Von Sotheks Fackel riesenhaft vergrößert, tanzten die Schatten der fünf Männer über die Statuen des Gottes.
Nepher verspürte ein Dröhnen in den Ohren, es war dieselbe Vibration, die er vor dem Obelisken des Heiligen Sees gehört hatte. Das Pfeifen wurde stärker. »Die Nacht des Großen Gleichmaßes«, hatte Meryre gesagt. Das Gleichmaß welcher Dinge?
Der Gang endete an einer Wand aus Tuffsteinblöcken mit einem Zedernholzportal. Die Torflügel waren mit Intarsien aus Edelsteinen besetzt, die die Erscheinung Atons im Morgengrauen des Zep Tepi darstellten. Sie wurden durch zwei Siegel aus rötlichem Harz verschlossen, auf die das Bild eines Phönix geprägt war. Im Licht der Fackel steckte Meryre seinen Siegelring in beide Siegel.
»Die heiligen Siegel sind unversehrt.«
Die Meister der Gerechtigkeit und der Wahrheit verschwanden hinter den Säulen neben dem Tor und kehrten mit zwei goldenen Tellern zurück, die sie zu beiden Seiten des Tores abstellten. Auf einem Teller lag ein kleiner goldener Hammer, auf dem anderen ein Kegel des Weißen Brotes.
Vor dem Tor stehend, hob Meryre seinen Stock mit dem ankh . »Ich bin Aton, ich bin Re, und ich bin Khepri, welcher am Horizont des Urhügels auftauchte, selbst erzeugt. Ich bin das Gestern, das Heute und das Morgen. Ich öffne mich dir, Amenhotep IV., und breche die Siegel des Heiligen Tores, das in die Halle der Aufzeichnungen führt.« Er nahm das goldene Hämmerchen und schlug gegen die beiden Siegel, bis sie zerbrachen. »Ich werde den Eingeweihten ein Geheimnis enthüllen, doch sorgt dafür, dass die Türen geschlossen bleiben, damit die Profanen nichts hören.«
Der Meister der Wahrheit näherte sich Nepher und sprach zu ihm, während er ihm den Teller mit dem Kegel des Weißen Brotes überreichte. Das Vibrieren erstickte seine Worte. Schweißtropfen perlten von Nephers Stirn.
Meryre gab Sothek, der im Halbdunkel zwischen den Säulen stand, ein Zeichen mit dem Kopf. Das Rasseln einer Kette übertönte das Pfeifen. Langsam drehte sich das Tor um sich selbst, und ein blendendes Licht erfüllte den Gang.
Nepher schritt über die Schwelle.
30 Théo öffnete einen Ordner mit der Aufschrift »Kassamatis« und überflog die Briefe, die der Louvre im Laufe der Jahre an den Milliardär geschrieben hatte. Das Museum fragte an, ob er dieses oder jenes Stück seiner Sammlung verkaufen würde, aber er hatte nie geantwortet.
Gewissheit, dass er wirklich der Dieb des Papyrus war, konnte man nur durch einen Besuch bei ihm erlangen. Aber wie?
Théo strich sich über den Nasenrücken. Eine Möglichkeit gab es vielleicht. Kassamatis war ein Kunde von Spyro, was bedeutete, dass er gestohlene Werke kaufte, und das machte ihn angreifbar. Ihm fiel die Komödie ein, die er im Büro von Joubert gespielt hatte. Warum nicht? Er traute sich noch einen Bluff zu, allerdings war der Gegner diesmal eine Art Kardinal Richelieu.
Selbst wenn es ihm gelänge, Kassamatis zu treffen, und er wirklich der Dieb war – warum sollte er den Diebstahl gestehen? Und weshalb sollte er Théo verraten, was auf dem Papyrus geschrieben stand? Es sei denn, Théo könnte ihm im Austausch etwas bieten. Was? Picos Pergament. Würde er einwilligen? Alles hing davon ab, wer sich hinter der Maske von Alexis Kassamatis verbarg.
Er setzte sich vor den Computer, und seine Finger flogen über die Tasten.
Sehr geehrter Herr Kassamatis,
wir haben eine gemeinsame Leidenschaft:
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