Curia
verabschieden, einschließlich der Ihren.«
»Nicht notwendigerweise. Versteifen Sie sich nicht auf die Vorstellung eines im Raum stillstehenden Schwarzen Lochs, das alles, was in seine Reichweite kommt, einsaugt wie ein gigantischer Staubsauger. Denken Sie stattdessen an sich drehende Schwarze Löcher.«
Diese rotierenden Schwarzen Löcher seien Räume im All, deren Vorhandensein kürzlich durch Weiterführungen der Einstein’schen Gleichungen bewiesen wurde. Es genüge, sich ein Schwarzes Loch vorzustellen, dass sich mit steigender Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht, bis sich im Zentrum ein Loch bildet.
Die Mathematik habe bewiesen, dass rotierende Schwarze Löcher immer zwei Öffnungen hatten, darum sprachen die Physiker von »Wurmlöchern« oder von Raumzeit-Tunneln.
»Die Wurmlöcher sind die Zeitkorridore der Science-Fiction-Literatur«, sagte Mayo.
»So etwas wie die Löcher im Käse, wenn ich recht verstehe?«
»Warum nicht? Der Vergleich gibt die Sache gut wieder. Es sind Eingänge zu verschiedenen Regionen der vierdimensionalen Raumzeit.«
»Gibt es diese Löcher denn wirklich?«
»Bis jetzt sind es einfach nur mathematische Abstraktionen. Niemand hat bisher beweisen können, dass sie tatsächlich existieren.«
Raisa dachte an das, was man sie im Kloster in Kopal gelehrt hatte. War das nicht so etwas wie die Befreiung aus dem Gefängnis der Sinne und das Erreichen der absoluten Leere? War das nicht die Erleuchtung des Buddha und die Erleuchtung des Pharaos, wenn er den Sprung ins Jenseits tat, der im Totenbuch beschrieben wurde?
»Wenn jemand in einen dieser Tunnel hineinkäme, ohne von der Singularität ausgelöscht zu werden«, fragte Raisa, »was würde er dann am Ausgang finden?«
»Einen Unterschied von Tausenden oder Millionen Jahren vor oder nach unserer Zeit, je nach der relativen Entfernung zwischen den beiden Öffnungen des Tunnels.«
»Für mich hört sich das immer noch nach Science-Fiction an.«
»Das ist es durchaus nicht. Einstein selbst hat 1935 zusammen mit Rosen bewiesen, dass die Relativitätstheorie zu den sogenannten Einstein-Rosen-Brücken, den Zeitkorridoren, führt.«
Normalerweise seien die Zeitkorridore zusammengedrückt, darum könne man nicht in sie hinein. Um sie zu öffnen, müsse man sie mit einem Antigravitationsfeld umgeben, anders ausgedrückt, mit einem Feld, das eine umgekehrte, also negative Kraft auf sie ausübe.
»Antigravitation dürfte etwas sein, was man nicht zu Hause im Hobbykeller herstellen kann, vermute ich«, sagte Raisa.
»Die uns umgebende Materie ist in eine Raumzeit mit einer positiven Krümmung eingebettet. Denken Sie an die Krümmung einer Kugel. Wir können das zwar weder sehen noch uns vorstellen, weil wir aus unserer Sinneswahrnehmung nicht herauskommen, doch im kosmischen Raum gibt es diese Beschränkungen nicht. Dort oben kann sich der vierdimensionale Raum in umgekehrter Richtung krümmen – denken Sie an die Wölbung eines Sattels –, und die Zeit kann zu einer negativen Größe werden. Mithilfe eines Wurmlochs könnte man dann in der Zeit rückwärts reisen.«
»Wie soll man sich die negative Zeit vorstellen?«
»Denken Sie wieder an einen Käse oder an das gefaltete Blatt. Im Vergleich zu dem geraden Weg, den das Licht in einer flachen Raumzeit nehmen müsste – die Gerade von A nach B also –, handelt es sich um eine Abkürzung. Der Unterschied zur Relativität ist, dass in einem Wurmloch nichts mit einer Geschwindigkeit reisen kann, die niedriger ist als die Lichtgeschwindigkeit. Dort drinnen ist die Raumzeit so stark gekrümmt, dass die Zeit negativ wird, und das ist gleichbedeutend mit einem Fahrschein für eine Reise zurück in die Vergangenheit.«
»Doktor Mayo, Sie wollen mir also sagen, dass durch die Lichtexplosion vorgestern in Ihrem Labor der Eingang zu einem Schwarzen Loch entstanden ist und dass Sie dort hineingezogen wurden?«
»Wie unglaublich es Ihnen auch erscheinen mag, es ist die einzige Erklärung, die ich für diese Zeitdifferenz von sechs Stunden und sechzehn Minuten habe.«
»Wie erklären Sie dann, dass Sie sich genau an Ihrem Ausgangspunkt wiederfanden, als Sie das Bewusstsein wiedererlangten?«
»Ich kann mir nur einen Zeitkorridor vorstellen, in dem die Öffnungen für den Eingang und den Ausgang zusammenfallen, und zwar so.« Wieder faltete Mayo das Blatt, sodass die Punkte A und B sich berührten.
»Nach dem, was Sie gesagt haben, dürfte es eine, gelinde gesagt, überwältigende
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