Curia
wir den Palästinensern?«
»Den Gazastreifen und das Westjordanland, obwohl mir die richtigen Bezeichnungen lieber wären«, sagte Rabinovitch, auf die hebräische Bibel vor sich zeigend, »nämlich Idumäa, Judäa und Samaria.«
Cohen starrte Rabinovitch verblüfft an. »Da Sie eben gerade sagten, Sie seien kein Idiot, und ich Ihnen die Gunst der bloßen Vermutung gewähre, muss es an der Hitze liegen.«
Der Charedim-Führer lachte herzlich und entblößte dabei ein Pferdegebiss. »Wenn Sie nicht nur beabsichtigen, sich aus den sogenannten ›besetzten‹ Gebieten zurückzuziehen, sondern in diesem Rückzug das Vorspiel für die Bildung eines Palästinenserstaates sehen, dann hat die Hitze tatsächlich jemandem das Hirn erweicht, aber dieser Jemand bin gewiss nicht ich.«
»Können Sie sich vorstellen, wie die palästinensischen Behörden darauf reagieren werden?«
»Meine einzige Sorge ist die Reaktion des Gottes Israels, wenn er bemerken sollte, dass wir das Gelobte Land gegen ein kurzlebiges Stillhalteversprechen an Leute verscherbeln, die nicht das geringste Recht auf dieses Land haben!« Rabinovitchs Faust fiel auf die Bibel. »Wie ich Ihnen schon in der Knesset sagte, ist dieses hier unsere Besitzurkunde, von IHM persönlich verfasst.«
Er zitierte die Stellen in der Genesis über das Versprechen, das Jahwe erst Abraham, dann Isaak und schließlich Jakob und den zwölf Stämmen Israels gegeben hatte.
»Auf dem Berg Sinai hat Jahwe Moses die Tafeln des Bundes übergeben«, sagte Rabinovitch. »Moses war Jude, ein Nachkomme Isaaks, nicht Ismaels. Die Übergabe der Tafeln an Moses ist der Beweis unseres göttlichen und historischen Rechts auf das Gelobte Land.«
»Danke für die Thoralektion.«
Rabinovitch ging zum Fenster und umfasste mit einer Handbewegung den Osten und Süden. »Sollen sie doch in ihre Heimat zurückgehen, nach Arabien, wenn der Mietvertrag ihnen nicht passt. Hat Jahwe je einen Bund mit einem Volk geschlossen, das ›Palästinenser‹ hieß?«
»Wie fühlt man sich als Hüter der geoffenbarten Wahrheit, Rabinovitch?«
»Wie fühlt man sich, Herr Premierminister, wenn man auf den Bund spuckt, den unsere Väter mit Gott schlossen? Überdies seid ihr Zionisten verantwortlich für das Palästinenserproblem. Ihr habt den Staat Israel vor der von Maleachi prophezeiten Ankunft des Messias errichtet und Jahwe damit euren Willen aufgezwungen. Der palästinensische Terrorismus ist seine Strafe für euren gotteslästerlichen Ungehorsam.«
»Ihre Dialektik könnte einen Ayatollah neidisch machen. Wenn wir Zionisten euch freie Hand ließen, würde Israel zu einem jüdischen Iran verkommen.«
»Ha, mir schien, Sie brauchen uns Ayatollahs, um Ihr kleines Palästinenserproblem zu lösen. Warum haben Sie mich sonst aufgesucht?«
Cohen kniff die Lippen zusammen. »Gut, ich werde Sie benachrichtigen.« Er brummte einen Gruß und ging hinaus.
JERUSALEM, ZWEI TAGE SPÄTER
Am späten Nachmittag wedelte ein Zeitungsverkäufer vor dem Damaskus-Tor mit der »Jerusalem Post«: »Extrablatt! Extrablatt! Die Knesset spricht der neuen Regierung das Vertrauen aus!«
Die größte Schlagzeile lautete: »Vertrauensvotum für die Regierung Cohen-Rabinovitch.« Das Foto darunter zeigte einen Abgeordneten, der einen Ultraorthodoxen an einer Schläfenlocke festhielt und ohrfeigte.
6 Théo bahnte sich einen Weg durch den Flur der Salle Médicis des Palais du Luxembourg, in dem sich das Publikum drängte, und setzte sich auf den einzigen leeren Stuhl in der zweiten Reihe.
Das Gemurmel erstarb. Ein Mann mit einem Haarschopf wie Einstein kam durch den Mittelgang, begleitet von einer schönen Frau um die vierzig mit orientalischen Gesichtszügen, kurz geschnittenen schwarzen Haaren, einem chinablauen Kostüm und einer Perlenkette um den Hals. Die beiden nahmen auf der Bühne hinter einem Rednerpult Platz.
»Sie hat eine vage Ähnlichkeit mit Farah Diba«, flüsterte eine neben Théo sitzende Frau ihrem Nachbarn zu.
»Als Präsident der Fédération Française de Psychiatrie freue ich mich, unsere Rednerin, Frau Doktor Raisa Belmont, willkommen zu heißen. Doktor Belmont ist Dozentin für Psychopathologie an der Sorbonne, Vizedirektorin der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie des Krankenhauses Pitié-Salpêtrière und hat eine psychoanalytische Praxis. Ihre Forschungen über hypnotische Regression und die Jung’schen Archetypen erschienen in Zeitschriften wie der ›International Review of
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