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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
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wenigstens mal zu erinnern!«
    In Emmas Gesicht spielt sich ein dramatisches Durcheinander ab, wie ein sich ankündigendes Gewitter. Ihre freundliches Interesse verwandelt sich vor deinen Augen in Besorgnis, dann in Aufregung. Das Blut schießt ihr in die Wangen, auf denen sich augenblicklich zwei kreisrunde rote Flecken bilden.
    »Ich – Anand? Ich darf nichts sagen! Der nasse Mann kommt und –« Wie vom Blitz getroffen sackt sie in sich zusammen. »Es ist alles meine Schuld.« Resigniert zieht sie die Schultern hoch, bis sie aussieht wie eine kleine alte Schildkröte.
    Du spürst, wie sich deine Hilflosigkeit in Wut verwandelt. Auch das ist eine bekannte Abfolge. Emma sieht zu, dass sie immer am Zug bleibt, egal wie du das Spiel eröffnest. Und in null Komma nichts bist du auf der Palme.
    »Verdammt noch mal, Emma! Es gibt keinen nassen Mann!«
    Unwillkürlich hast du mit der Faust auf den Tisch gehauen. Emma zuckt zusammen und zieht den Kopf noch ein bisschen tiefer ein. Ihr Mund geht zu: Hör auf, sie zu erschrecken! Du brauchst jetzt so schnell wie möglich eine neue Strategie, solange du ihre Aufmerksamkeit noch nicht ganz verloren hast! In die Stille bricht eine neutrale Männerstimme.
    »12 Uhr. NDR 2 mit den aktuellen Nachrichten aus der Region. Kiel. Schleswig-holsteinische Kirchenverbände streben ein neues Volksbegehren gegen die Abschaffung des Buß- und Bettages als gesetzlichem Feiertag an. So sehr die Einführung der Pflegeversicherung und ihre positiven Folgen zu begrüßen seien, heißt es in einer heute veröffentlichten Presseerklärung, so wenig sei einzusehen, dass der Buß- und Bettag für die Finanzierung herhalten muss. Es gebe überhaupt keinen Zusammenhang zwischen der Pflegeversicherung und dem Buß- und Bettag, außer dass beide eine gute Sache seien. Das letzte Volksbegehren zu diesem Thema war bereits 1998 gescheitert.«
    »Buß- und Bettag. Büßen und Beten«, leiert Emma, während du immer noch überlegst, wie du sie zum Reden bringst. Plötzlich durchfährt sie ein Ruck und der Kopf kommt wieder hoch. »Die Schiffe! Jetzt dürfen sie wieder auslaufen. Wie schade. Büßen und beten und die Schiffe müssen alle im Hafen bleiben.« Ihr angespannter Gesichtsausdruck macht einem verträumten Lächeln Platz, das dir kalte Schauer über den Rücken jagt. »Aber wir haben nicht gebetet. Neinnein. Sünde. Mein kleines Mädchen ist doch keine Sünde!«
    Du kannst dich nicht erinnern, wann Emma, das letzte Mal so lange an einem Stück gesprochen hat. Schweigend siehst du sie an. Dein Gehirn arbeitet. In langen Jahren hast du mühsam gelernt, ihre Codes zu knacken. Jetzt schiebst du in Gedanken die einzelnen Bruchstücke hin und her. Ein Feiertag, die Schiffe im Hafen. Anand, der Schiffsarzt. Sünden. Ein Feiertag im November. Wann hast du Geburtstag, Mattie. Rechne nach, verdammt noch mal, schnell!
    »Mama! Wie hieß das Schiff?«
    Emma scheint dich nicht mehr zu hören. Sie guckt aus dem Fenster und summt leise die Melodie von Ein Schiff wird kommen. Vorsichtig nimmst du ihr Gesicht in deine Hände und versuchst es wieder zu dir zurückzudrehen. »Bitte, Mama! Das Schiff! Der Name!«
    »Madita, lass sie in Ruhe!«
    Du springst auf. Wie lange steht Hinnarck schon in der Tür? Wie viel hat er mitbekommen? Du weichst seinem vorwurfsvollen Blick aus.
    Emma sieht erst dich an und dann Hinnarck. Das Lächeln klebt ihr immer noch im Gesicht wie ein Marmeladenrest vom Frühstück. »Guck mal, Hinnarck, Madita ist da«, sagt sie mit schleppender Stimme.

38 Handycam
    Er hatte die Kamera mehr aus Verlegenheit rausgeholt, damit er beschäftigt war. Nick versuchte, die Schärfe auf die große Tafel zu legen, auf der die Abflugdaten alle paar Minuten eine Zeile weiter nach oben ratterten. Ganz oben stand jetzt Bombay/Mumbai, weit über Hamburg. Er schwenkte hinunter auf Cal, der neben seiner Metallkiste saß und darauf Tabla-Rhythmen schlug. Nichts in dessen Gesicht verriet, was er gerade dachte.
    Nick hatte keine Ahnung, was ihn die letzten zwei Tage eigentlich geritten hatte. Fakt war, dass er nicht zusammen mit Mattie nach Hause gefahren war. London schien in ihm die schlechte Angewohnheit hervorzubringen, einfach hängen zu bleiben. Katerfrühstück mit Cal und Samir. Ein Zug durch die Plattenläden. Eine Nacht in dem alten Kino in Brixton. Eine Verabredung ergab die nächste. Hatte er mehr Angst davor, einen Fremden zu versetzen als seine Freundin? Oder waren seine Prioritäten verrutscht? Und wenn

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