Cut
ziemlich sicher, dass sie sich über mich lustigmachte. Ihr sonnengegerbtes Gesicht war zu einer einzigen Faltenlandschaft geworden.
«Ihre Mutter hat nichts davon gesagt.»
«Nee. Logisch.»
Ich wartete, aber da es nicht den Anschein hatte, als würde noch mehr kommen, stand ich auf und wühlte in der Tasche meiner Jeans und fischte einen Zwanziger heraus. «Kennen Sie den Namen der Person, mit der Anne zusammen war? Hat sie Ihnen ein Bild von ihm gezeigt oder so?»
«Nee», sagte Emma. «Aber Sie waren neulich echt nah dran.» Ihre Stimme klang wie ein Reibeisen.
«Wo dran?»
Sie kniff wieder die Augen zusammen. «An der Person, die Anne umgebracht hat.»
Sie brach in ein gackerndes Lachen aus, das zu einem so heftigen Husten ausartete, dass ich erschrak. Ich legte den Zwanziger auf den Tisch und ging zur Tür, die passend zum Ambiente schief in den Angeln hing. Ich warf einen Blick zurück auf den vollen Aschenbecher, die Tarotkarten auf dem Tisch, den langen Vorhang im Hintergrund, den billigen, dunkelroten Teppich. Als ich in Emmas Gesicht schaute, sah sie mir direkt in die Augen.
«Lecken Sie auch Muschis?», fragte sie und grinste dreckig.
Igitt
. Na schön, Emma war also durchgeknallt. Ich machte die Fliegentür auf und ging nach draußen an die frische Luft und zu den Kunstwerken, dem Müll und den Katzen. Mir fiel auf, dass ich zitterte, außerdem war ich sauer, dass ich mich von der halben Portion hatte auf den Arm nehmen lassen.
Hinter mir drückte Emma die Tür auf und schnippte ihre Zigarette in den Sand, wo sie glimmend liegenblieb. Der durch die schwüle Luft wabernde Qualm brannte mir in derNase. Sie hielt eine Karte hoch. Es war der umgedrehte Henker. «Ihr feiner Pinkel, der liebt Sie nicht. Er kann nur sich selbst lieben. Aber der Polizist, der liebt Sie», sagte sie, und nachdem sie mir nun etwas für meine zwanzig Dollar gegeben hatte, verschwand sie wieder nach drinnen.
29
N ach Hause zu fahren und kaum mehr zu wissen als bei der Abreise ist für eine Detektivin nie erfreulich. Was hatte ich in den zwei Tagen erfahren? Ihren ehemaligen Mitbewohnerinnen zufolge war Anne schüchtern und zurückhaltend. Laut ihrer Mutter schloss sie nicht so leicht Freundschaften. Der Aussage einer verrückten alten Kartenleserin nach hatte sie eine Beziehung gehabt. Laut Uniunterlagen hatte sie fleißig studiert. Sie hatte ein gewisses Talent als Malerin. Daraus konnte man kaum ein scharfes Bild ihrer Gewohnheiten und Tagesabläufe, ihrer Treffpunkte und Liebhaber entwickeln. Niemand schien das Mädchen gekannt zu haben. Es gab offenbar keine Verbindungen zu den anderen Opfern und keine Hinweise darauf, dass sie jemals Charlie Ramsey über den Weg gelaufen war. Doch irgendetwas war in ihrem Leben verborgen. Ich wusste es. Der erste Mord legte die Marschroute für die nächsten fest. Alles hatte mit Anne begonnen. Wir mussten herausfinden, warum.
Ich musste daran denken, wie Dobbs in einem Mietwagen mitten in Atlanta traktiert worden war. Sexuell verstümmelt. Was hatte das zu bedeuten? Unseres Wissens hatte Wunschknochen seine schreckliche Genitaloperation an keinem Opfer seit Anne Chambers vorgenommen. Und weshalb hatte er als Ort dafür ein Fahrzeug in einer Wohnstraße gewählt? Das war ein sehr hohes Risiko. Er hatte zum ersten Mal Faserspurenzurückgelassen. Dafür keine Bissmarken. Die Freude am Töten bestand für Wunschknochen zum Teil darin, sich Zeit mit seinen Opfern zu lassen.
Wie fühlt sich das an?
Weshalb hatte er Dobbs so effizient abgefertigt? Vielleicht ging es um die Schockwirkung. Mord an einem Prominenten. Nimmt man sexuelle Verstümmelung dazu, flippen die Medien aus. War es so einfach? Hatte ich die Bedürfnisse dieses Gewalttäters derart missverstanden? Manchmal konnte man annehmen, es gebe zwei Wunschknochen.
Am liebsten hätte ich meinen Kopf gegen irgendwas geknallt. Eine Flasche Wodka wäre nett gewesen.
In Brunswick lenkte ich den Neon auf eine Tankstelle. Laut meiner Wegbeschreibung musste ich die US 82 oder die 7 t h Street East oder die Georgia 520 West oder Corridor Z, also den South Georgia Parkway nehmen.
Hä?
Jedenfalls brauchte ich einen Weg nach Atlanta, ohne die Interstate 75 benutzen zu müssen, auf der ich während des Berufsverkehrs in Macon festsitzen würde. Die Straßen in Macon reichten schon für die Bevölkerung der Stadt kaum aus.
«Tag, Ma’am.» Der Aufnäher über seiner Hemdtasche sagte mir, dass er Grady hieß. Seine öligen Hände
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