Cvon (Ushovar-Zyklus) (German Edition)
Boden.
„Schieß!“, kreischte Nishun. „Schieß endlich, du Schwachkopf!“
Die Beleidigung verlieh dem erschreckenden Lächeln Tia-Lhors einen Hauch von Süffisanz. Wie die Ruhe selbst verschränkte sie die Arme und sah Vladin in die Augen. Die Waffe in seiner Hand begann zu zittern. „Du sollst schießen, du begriffsstutziger Trottel!“, mischte sich Nishuns immer schriller werdende Stimme wieder ein.
„Na, jetzt bin ich aber gespannt, ob du lieber auf `Vladin` oder `Trottel` hörst“, meinte die Halbdämonin spöttisch.
Nishun versteifte sich, als sie erkannte, dass sie in die Falle getappt war. Doch obwohl er keine Anstalten machte, auf Tia-Lhor zu schießen, stand Vladin noch immer schützend vor ihr.
Blitzschnell hob Nishun die gesunde Hand für einen weiteren Zauber, und obwohl ihre Feindin sofort startete, kam sie zu spät, um das Eintreten der Wirkung zu verhindern. Eine Lanze grellen Lichts zuckte Tia-Lhor entgegen; durchschlug sie und riss ihr einen Schmerzensschrei von den Lippen. Doch stoppen konnte der für die meisten Sterblichen tödliche Zauber sie nicht. Die neue Brandwunde auf ihrem Bauch ignorierend kam sie wie eine Urgewalt über sie. Fauchend warf sich Tia-Lhor auf die Elfin, packte sie an den Haaren und drückte ihr Gesicht in den weichen Waldboden. Den zappelnden Elfenkörper unter sich ignorierend sah sie zu Vladin hoch.
„Schwachkopf oder Krieger?“ Ihre Stimme war rau und Arlton fühlte, dass sie mit Mühe darum kämpfte, nicht die Grenze zwischen Frau und Bestie zu überschreiten. Schon ihre Schmerzen mussten jenseits des Erträglichen sein, doch sie schien sich ernsthaft um Vladin zu bemühen. Wenn er es genauer betrachtete, hatte sie sogar einiges dafür riskiert. Was war für sie so wichtig an ihm?
Vladin senkte Blick und Waffe. Als wäre ein Damm gebrochen, wurde Tia-Lhor ganz Bestie. Mit unmenschlichen Kräften riss sie die kreischende Nishun an den Haaren an sich. Knackend öffnete sich ihr Unterkiefer, doch wegen der Flut ihrer Haarpracht blieb der Anblick den Kriegern erspart. Arlton hörte nur Nishuns entsetzliche Schreie und sah, wie Unmengen von Blut im Waldboden versickerten.
„Dolderiks Zahn!“, rief Duice entsetzt und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine Brust. Seine überschlagende Fistelstimme hätte beinahe lustig sein können, wäre Loric zum Lachen zumute gewesen. Wütend schüttelte er den Staub aus seiner Kleidung und spuckte braunen Dreck auf den Boden. Magier! Sein Stamm wusste schon sehr genau, warum man sich auf Shamanen und Äxte verließ.
Was war überhaupt passiert? Sie hatten harmlos um ihr Feuer gesessen, als es irgendwo im Wald einen Knall gegeben hatte. Sie waren aufgesprungen und irgendetwas hatte Duice getroffen. Gleich darauf hatte ihre Auftraggeberin ein helles Ding in den Wald geworfen und sie und Duice waren die Einzigen gewesen, die die Druckwelle nicht umgerissen hatte. Und auch jetzt stand sie so merkwürdig da. Die Etherna hatte eine leuchtende Kugel in der Hand und beobachtete mit seltsam weggetretenem Blick den Waldrand.
Waldrand? Tatsächlich. Ihr Zauber schien den Bäumen nicht ein Blättchen in Unordnung gebracht zu haben.
Fluchend sah er sich zu Duice um und erbleichte. In der Brust seines großen Freundes steckte ein Pfeil, der mit tödlicher Sicherheit über seinem Herzen lag. Das Ding hatte Duices ganzen Stolz, den an seiner Halskette hängenden Zahn Dolderiks, durchschlagen, und steckte nun direkt in seiner Rippe. Doch der Riese schien den Schmerz gar nicht wahrzunehmen, sondern regte sich nur über das Loch in seinem Familienerbstück auf.
„Den mach’ ich klein“, fistelte er und walzte blass vor Wut und mit drohend vorgebeugtem Oberkörper in Richtung Wald voran. Auch wenn er selbst im Zorn eher wie ein gutmütiger Bär als wie ein übergroßer Ork im Blutrausch aussah, überlegte Loric es sich doch zweimal, ob er ihn aufhalten sollte. Gufnar, der Sohn des Morgs, hatte in einer ähnlichen Situation seinen Mut mit einem Hauer bezahlt.
Cvon!, schoss es ihm siedendheiß durch den Kopf. Hatte die Explosion im Wald etwas mit ihr zu tun gehabt? Bleich vor Sorge zog er die Streitaxt und setzte zu einer ziellosen Suche in der Umgebung an.
Doch grade, als er Duice überholen wollte, preschte sie mit erhobenem Schwert aus dem dichten Wald heraus. Kalte grüne Augen suchten vergeblich nach einem Opfer und kühlten den Lagerplatz um mehrere Grade ab. Sie hatte einige Schürfwunden erlitten und war über
Weitere Kostenlose Bücher