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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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weggehen mußte.
    Sie schufen die Münze gemeinsam, die einzige Möglichkeit, eine unbemerkte Manipulation auszuschließen. Sie riefen gemeinsam den Editor zur Generierung physischer Objekte auf; er bot einen scheibenförmigen Gegenstand an, den er schon vorbereitet hatte, und sie verzierten ihn mit dem Aussehen einer Ein-Pfund-Münze. Ein physikalisches Modell für das Werfen der Münze brauchten sie nicht – jede Kopie konnte die Flugbahn so exakt vorausberechnen, daß sie mit einer kleinen Daumenbewegung beim Werfen das gewünschte Resultat festlegen konnte. Also überließen sie das Ergebnis einem Zufallsgenerator in den Tiefen des Betriebssystems.
    Peer sagte: »Ich werfe, du sagst an!« In genau demselben Augenblick wie sein Klon. Er lachte. Sein Zwilling lächelte nur schwach. Zuerst wollte Peer nachgeben, dann beschloß er abzuwarten. Einige Sekunden später sagte er, diesmal allein: »Okay, du wirfst.«
    Während die Münze durch die Luft flog, dachte Peer daran, sie in einem zweiten Objekt einzuschließen, einer völlig unsichtbaren dünnen Hülle, die völlig seiner Kontrolle unterworfen war – aber unter der langen Liste von Eigenschaften, die die faire Münze besaß, befand sich möglicherweise eine, die Alarm schlagen würde, wenn ihre Oberflächen plötzlich verdeckt würden. Unmittelbar bevor die Münze den Boden berührte, rief er: »Kopf!«
    Sie warfen sich gleichzeitig in den Dreck, ihre Köpfe schlugen fast gegeneinander. Eine Henne näherte sich neugierig, und Peer verscheuchte sie mit einem Tritt nach hinten.
    Präsident Kinnocks Profil glänzte im Staub.
    Der Klon blickte Peer in die Augen. Peer gab sich Mühe, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen – er war kurz davor gewesen, die Verbindung zu seinem Körper zu verlieren. Er versuchte, den Gesichtsausdruck des Klons zu deuten, aber er konnte nichts erkennen. Alles was er sah, war nur eine Reflexion seiner wachsenden Taubheit. Pirandello hatte einmal gesagt, daß es unmöglich sei, ein wirkliches Gefühl zu verspüren, während man in einen Spiegel sah. Peer beschloß, es als ein gutes Omen zu sehen. Sie waren immer noch ein und dieselbe Person, und das war alles, was zählte.
    Der Klon stand auf und klopfte den Staub von seinen Ellbogen und Knien. Peer zog eine Hologramm-geprägte Lesekarte aus der Gesäßtasche seiner Jeans und gab sie dem Klon. Es war eine Kopie aller VR-Umgebungen, maßgeschneiderte Hilfsprogramme, Körper, Erinnerungen und andere Daten, die er seit seiner Wiederauferstehung gesammelt hatte.
    Der Klon meinte: »Mach dir keine Gedanken um mich – oder Kate. Wir werden glücklich sein.« Noch während er sprach, morphte er in einen älteren Körper.
    Peer antwortete: »Dito.« Er reichte nach oben und schüttelte dem jungen Mann die Hand. Dann rief er eines seiner Kontrollfenster auf und ließ den Klon erstarren. Er machte noch eine Aufzeichnung der reglosen Gestalt für die Archivdatei, dann schrumpfte er sie auf eine Höhe von wenigen Zentimetern zusammen, verflachte sie zu einer zweidimensionalen Postkarte und ließ auf der Rückseite die Anschrift entstehen: MALCOLM CARTER.
    Er spazierte einen Kilometer weit die Straße hinunter bis zu einem von Kates netten kleinen Einfällen, einem Briefkasten mit der Aufschrift POST, und warf die Karte ein.
     

19
    (Vergib nicht den Mangel)
    Juni 2051
     
    Der Anästhesist sagte: »Zählen Sie von zehn an rückwärts.«
    Maria sagte: »Zehn.«
    Sie träumte, wie sie mit einem Koffer voller Geld an Francescas Tür klingelte. Der Deckel ging auf, während sie der Mutter durch die Diele folgte; die Hundert-Dollar-Noten flatterten heraus und wirbelten wie Konfetti durch die Luft.
    Francesca drehte sich zu ihr um, strotzend vor Gesundheit. Liebevoll sagte sie: »Das war doch nicht nötig, meine Kleine. Aber ich verstehe – du kannst es nicht mit dir nehmen!«
    Maria lachte: »Du kannst dich nicht mit dir nehmen!«
    Ihr Vater saß im Wohnzimmer, gekleidet wie auf dem Hochzeitsphoto, obwohl er nun sichtlich älter war. Auch er strahlte und begrüßte Maria mit ausgebreiteten Armen. Seine Eltern und die von Francesca standen hinter ihm – und als Maria näher kam, sah sie von oben hinter den Großeltern noch Onkel und Tanten, Urgroßeltern und Großtanten, Reihe um Reihe von Vorfahren und Verwandten. Ahnen und Urahnen hatten sich versammelt, füllten das Haus bis in den letzten Winkel, lachten und unterhielten sich. Ihr Geld hatte sie alle ins Leben zurückgerufen. Wie

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