Cyber City
Moment, als sie sich das letzte Mal geliebt hatten. Er verschmolz die Erinnerung mit dem Jetzt und sah nun beide Kates: Die neue, so schmale, grauäugige Kate schien zuzusehen, während er auf dem Boden lag, keuchend von der fühlbaren Erinnerung an ihren Körper – obwohl er für sie in Wirklichkeit noch immer auf seinem Stuhl saß, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht.
Erinnerung ist Diebstahl, hatte Daniel Lebesgue geschrieben. Peer fühlte einen kurzen Stich – post-koitale Depression. Wessen hatte er sich schuldig gemacht? Perfekte Erinnerung, sonst nichts.
Kate sagte: »Ja, ich kann Durhams Preis nicht bezahlen. Aber ich kann Carter bezahlen.«
Für eine Sekunde verlor Peer die Fassung, doch dann brachte er ein bewunderndes Lächeln hervor. »Du meinst es ernst, oder?«
Sie nickte nüchtern. »Ja. Ich habe lange darüber nachgedacht, aber nachdem ich für zehn Stunden einfach abgeschaltet worden bin …«
»Und du bist sicher, daß Carter kein Betrüger ist? Woher willst du wissen, daß er tatsächlich etwas zu verkaufen hat?«
Sie zögerte. »Ich kenne ihn von früher, als ich noch draußen war. Er hat für mich gearbeitet … Ich habe viel Zeit in der VR verbracht, als Besucherin. Er hat einige meiner Lieblingsorte programmiert: den Strand im Winter, das Sommerhäuschen, das ich dir gezeigt habe, und so was. Er ist einer der Menschen, mit denen ich über alles gesprochen habe, bevor ich mich entschied, für immer hierherzukommen.« Peer musterte sie unbehaglich; sie sprach sonst nie von der Vergangenheit, was ihm sehr recht war … Zu seiner Erleichterung kam sie rasch wieder zur Sache. »Es ist nicht so einfach, jemanden mit all den Filtern, Masken und so weiter und mit unserer Verlangsamung zu beurteilen – aber ich glaube, daß er sich nicht sehr geändert hat. Ich vertraue ihm.«
Peer nickte langsam und warf geistesabwesend seine Halskette aus Darm wie ein Handtuch über die Schulter. »Aber vertraut Durham ihm auch? Wird er nicht die Stadt nach blinden Passagieren absuchen?«
»Carter ist sich ziemlich sicher, daß er mich verstecken kann. Er hat eine Software, die mein Modell zerlegen und es tief in den Algorithmen der Stadt vergraben kann – einige Milliarden redundanter Programmteile.«
»Überflüssige Programmteile kann man durch Optimieren beseitigen. Wenn Durham …«
Kate schnitt ihm ungeduldig das Wort ab. »Carter ist nicht dumm. Er weiß, wie man Programme optimiert – und er weiß, wie er seine Daten davor schützen kann.«
»Na schön. Aber … wenn du erst dort bist, welche Kommunikationsmöglichkeiten hast du dann?«
»Nicht viele. Einen begrenzten Zugriff auf das, was die legitimen Stadtbewohner abrufen – und wenn die Stadt geheim bleiben soll, dann wird das nicht viel sein. Von dem, was Carter sagte, habe ich fast den Eindruck gewonnen, daß sie alles Nötige in ihren Speicher übernehmen und anschließend die Brücken hinter sich abbrechen.«
Peer ließ ihre Worte auf sich einwirken, aber er vermied es, die auf der Hand liegende Frage zu stellen – oder sich überhaupt anmerken zu lassen, daß er daran gedacht hatte. »Was wirst du mit dir nehmen?«
»Die ganze Software, alle programmierten Umgebungen, die ich hier benutzt habe – keine sonderlich große Datenmenge im Vergleich zu mir. Und wenn ich erst in der Stadt bin, dann habe ich Zugriff auf alles, was es dort gibt: Informationen, Unterhaltung, von jedermann benutzbare Umgebungen. Ich kann über die Hauptstraße bummeln – unsichtbar und für niemanden fühlbar – und die Billionäre angaffen. Meine Gegenwart würde nichts und niemanden beeinflussen, abgesehen davon, daß es die Systemzeit um einen winzigen, vernachlässigbaren Betrag verlangsamt. Deshalb wird auch die sorgfältigste Programmverifizierung das System als ›unkontaminiert‹ identifizieren.«
»Und mit welchem Zeitfaktor wirst du leben?«
»Darauf sollte ich dir keine Antwort geben – du bist doch der Verfechter von ›einem Rechentakt pro Jahr‹.«
»Ich bin nur neugierig.«
»Es hängt davon ab, wie viele BIPS für die Stadt verfügbar sind.« Sie zögerte. »Carter ist sich noch nicht ganz sicher, aber er hält es für möglich, daß Durhams Leute bald über eine neue, wesentlich leistungsfähigere Hardware verfügen …«
Peer stöhnte. »O nein, als wäre die Sache nicht so schon fragwürdig genug – jetzt kommst du auch noch mit dem ›Quantensprung‹ in der Computertechnik. Wie könnte man so etwas geheimhalten? Wer sollte
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