Cyber City
aufwiegt.«
»Willst du, daß ich hier bei dir bleibe?«
»Nein.«
»Es macht keine Umstände. Du weißt, daß ich meine Arbeit überall tun kann.«
»Es ist nicht nötig. Ich werde keine Pflege brauchen.«
Maria schloß die Augen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie dieses Gefühl noch eine einzige Stunde ertrug, geschweige denn länger als ein Jahr. Als ihr Vater vor drei Jahren an einem Herzanfall starb, hatte sie sich geschworen, Francesca noch vor dem sechzigsten Geburtstag scannen zu lassen. Aber sie hatte es nicht geschafft. Ich habe alles verdorben, ich habe meine Zeit verschwendet. Und jetzt ist es fast zu spät.
Laut sagte sie: »Vielleicht kann ich in Seoul Arbeit finden.«
»Ich dachte, du hättest dich bereits anders entschieden.«
Maria blickte auf, sie hatte gar nicht zugehört. »Warum willst du dich nicht scannen lassen? Wovor hast du Angst? Ich werde auf dich aufpassen, ich werde alles so machen, wie du es mir aufträgst. Wenn ich dich erst betreiben soll, wenn die Verlangsamung kleiner ist, dann warte ich. Wenn du in einem richtigen Körper – einem menschlichen Körper – aufwachen willst, kann ich warten, bis das technisch machbar ist.«
Francesca lächelte. »Ich weiß, daß du das tun würdest, mein Kind. Das ist nicht das Problem.«
»Was denn?«
»Es ist kein Thema, über das ich streiten möchte.«
Maria war verzweifelt. »Ich werde nicht streiten – ich will es nur wissen. Bitte, sag es mir!«
Francesca gab nach. »Du darfst nicht vergessen, daß ich schon dreiunddreißig war, als man die ersten Kopien schuf – du warst fünf, du bist damit aufgewachsen: Aber für mich ist diese Idee immer irgendwie … fremdartig geblieben. Etwas für Exzentriker, jene Art Leute, die sich schon vor hundert Jahren unbedingt einfrieren lassen mußten. In meinen Ohren klingt es absurd, Hunderttausende von Dollars auszugeben, um nach seinem Tod von einem Computer imitiert zu werden. Ich bin keine exzentrische Millionärin, ich möchte kein Geld verschwenden – weder meines noch deines – für nichts weiter als ein … ein mit meiner Stimme sprechendes Imitat meines Egos. So etwas gehört sich nicht.« Bittend blickte sie ihrer Tochter in die Augen. »Zählt das heute nichts mehr?«
»Es hat nichts mit imitieren zu tun – du wärst du selbst.«
»Ja und nein.«
»Was soll das heißen? Hast du nicht immer gesagt, du glaubst …«
»Ich glaube ja gerne, daß Kopien intelligent sind. Ich würde nur nicht sagen, daß sie identisch sind – oder etwas in der Art – mit der Person, auf deren Abbild sie basieren. Das ist eine Frage, die man nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Es hat nichts mit Wahrheit zu tun, sondern damit, was man unter ›identisch‹ versteht.
Es ist so, daß ich in diesem Augenblick eine Vorstellung davon habe, wer ich bin … wo meine Grenzen sind, daß mein Leben begrenzt ist. Eine Kopie, die in unbestimmter Zukunft – irgendwann – weiterexistieren wird, gehört nicht dazu. Verstehst du das nicht? Nach einem Scan würde mir das Sterben kein bißchen leichter fallen, wie auch immer eine Kopie von mir darüber denken würde … wenn es eine geben würde.«
Maria war wütend. »Das ist doch pervers! Das ist so albern, als würde man mit zwanzig sagen: ›Ich kann mir nicht vorstellen, jemals fünfzig zu sein. Eine so alte Frau könnte doch unmöglich ich sein.‹ Und dann würde man sich umbringen, weil man nichts weiter zu verlieren hat als eine alte Frau – die nicht zu den Dingen innerhalb deiner albernen ›Grenzen‹ gehört!«
»Ich dachte, du wolltest nicht mit mir streiten.«
Maria senkte den Kopf. »So hast du noch nie über das Thema geredet. Warst du es nicht, die immer gesagt hat, man müsse Kopien wie menschliche Wesen behandeln? Wenn diese merkwürdige ›Religion‹ keine Gehirnwäsche mit dir veranstaltet hätte …«
»Die Kirche Des Gottes, Der Keinen Unterschied Macht hat keine Position zur Frage der Kopien – sie ist weder dafür noch dagegen.«
»Sie hat überhaupt keine Meinung, zu welcher Frage auch immer!«
»Richtig. Also ist es wohl kaum ihre Schuld, wenn ich mich nicht scannen lasse.«
Maria wurde fast übel vor Ärger. Sie hatte das Thema ein ganzes Jahr lang vermieden; sie war überrascht gewesen, erschrocken, aber sie hatte die Entscheidung der Mutter respektiert: Jetzt erkannte sie, daß das von allen Fehlern der größte war, den sie sich vorzuwerfen hatte. Verantwortungsloser hätte sie gar nicht handeln können.
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