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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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die Ursache von allem ist, dann ist er auch der Grund für den Drang, das Wort Gott zu benutzen. Und so oft ich ein wenig Stärke oder Trost oder eine Einsicht aus diesem Drang schöpfe, so oft ist Gott die Quelle dieser Kraft. Und wenn dieser ›Gott, Der Keine Unterschiede Macht‹ mir hilft, mein Schicksal zu akzeptieren … warum solltest du darüber traurig sein?«
     
    Auf der Fahrt nach Hause, in der Bahn, saß Maria neben einem Jungen von vielleicht sieben Jahren, der sich im lautlosen Rhythmus eines IMV – eines Interaktiven Musikvideos – wand. Die direkte Nerveninduktion des Gehirns war zur Behandlung der Epilepsie entwickelt worden, doch inzwischen bestand die gebräuchlichste Anwendung offensichtlich darin, jene Symptome hervorzurufen, die man ursprünglich hatte beseitigen wollen. Wenn Maria zu ihm hinüberschielte, konnte sie sehen, wie seine Augen hinter der Spiegelbrille wie bei einem Kranken hin- und herzuckten.
    Nachdem der Schock über die schlechten Nachrichten von ihrer Mutter ein wenig verflogen war, konnte Maria endlich einen klaren Gedanken fassen. Wie immer ging es nur um Geld, nicht um Religion. Sie gefällt sich in der Rolle der Märtyrerin, die nicht einen Cent meines Geldes für sich beansprucht. Alles andere sind Ausflüchte. Sie hatte genug von dem mitbekommen, was ihre Eltern an verstaubten, überholten Ideen mit sich schleppten: daß man niemals denen zur »Last« fallen durfte, die nach einem kamen – damit man ihnen nicht ›die besten Jahre ihres Lebens‹ verdarb.
    Sie hatte ihr Fahrrad in einem Schließfach am Hauptbahnhof gelassen. Nun radelte sie langsam durch den schwachen Freizeitverkehr des Sonntagabends. Sie fühlte sich leer und aufgewühlt, aber nun, da sie Gelegenheit hatte, die Sache zu überdenken, keimte ein wenig Hoffnung auf. Zwölf bis achtzehn Monate? … Um das Geld zusammenzubringen, würde sie nicht einmal ein Jahr brauchen. Irgendwie würde es gehen. Sie mußte der Mutter beweisen, daß sie es konnte, daß es nicht über ihre Kräfte ging, daß sie keine Last war – dann müßte Francesca aufhören, nach Ausreden zu suchen.
    Zu Hause setzte Maria einen Topf mit Gemüse auf den Herd, ging nach oben und sah nach der Post. Sechs Nachrichten unter »Reklame«, vier unter »Autoversum« – und keine unter dem Stichwort »Lukrativ«. Seit ihrem Brief an die Autoverse Review hatte so ziemlich jeder Abonnent Kontakt mit ihr aufgenommen – hatte sie beglückwünscht, nach Details gefragt, seine Mitarbeit angeboten. Natürlich waren auch einige Sonderlinge dabei gewesen, die mit abstrusen Einwänden zu beweisen versuchten, daß sie sich irrte. Ihr Erfolg mit A. lamberti war sogar bis zur Cellular Automaton World vorgedrungen – einer allgemeineren Zeitschrift –, und das war immerhin eine Art von Anerkennung. Alles in allem fand sie ihren Erfolg eher komisch – und in gewisser Weise war sie froh darüber: Es rückte die Dinge in die richtige Perspektive.
    Sie strich mit der Hand über den Sensorschirm und löschte die lästige Werbung. Dann saß sie eine Weile herum und starrte auf die Menüsymbole für das Autoversum. Vielleicht sollte sie dasselbe auch damit tun. Ich muß mich zusammennehmen … mich aufs Geldverdienen konzentrieren … ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.
    Sie rief den ersten Brief aus der Post ab. Ein halbwüchsiges Mädchen aus Kansas City beklagte sich, daß sie Marias Ergebnisse nicht hatte reproduzieren können, und beschrieb wortreich das umständliche Experiment, mit dem sie es versucht hatte. Maria unterbrach nach zwanzig Sekunden und löschte den Brief. Sie hatte bereits ein halbes Dutzend Schreiben dieser Art ausführlich beantwortet, und damit war ihr Soll gegenüber der »Autoversum-Gemeinde« erfüllt.
    Als sie den zweiten Brief auf den Schirm holte, stieg ihr der Geruch nach Verbranntem in die Nase. Sofort fiel ihr ein, daß die Computersteuerung des Herds seit Freitag defekt war. Der Herd mußte manuell bedient werden – nicht einmal mehr die Kochplatten konnte sie fernbedienen. Sie drehte den Lautstärkeregler des Terminals auf und hastete in die Küche.
    Der Spinat war nur noch eine schwarze verkrustete Masse. Sie nahm den Topf und warf ihn quer durch die kleine Küche. Er prallte von der Wand zurück und fiel vor ihre Füße. Sie nahm ihn hoch und begann, ihn immer wieder gegen die Wand neben dem Herd zu schmettern, bis die Kacheln zersprangen und auf den Boden knallten. Sie spürte eine tiefe Befriedigung. Es war, als

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