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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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ich dasselbe auch mit meiner äußeren Erscheinung mache. Viele seiner Geschäftsfreunde ließen sich langsam und allmählich verjüngen, aber es gab auch welche, die einen großen Sprung zurück die Vergangenheit gemacht hatten – zwanzig, dreißig, fünfzig Jahre – oder sogar ein völlig neues Aussehen angenommen hatten. War das richtig? Wie mußte man sich entscheiden, wenn man bei der Wahrheit bleiben wollte? Wie ein Greis (der er nicht war!) auszusehen, oder wie er es gerne wollte – wenn er schon die Wahl hatte. Unbestreitbar hatte.
    Er schloß die Augen, legte die Fingerspitzen an die Wangen und tastete über seine alte, müde Haut. Wenn er überzeugt war, daß diese Ruinenlandschaft ihm gehörte, dann gehörte sie auch zu ihm … und wenn er einen neuen, jungen Körper zu akzeptieren lernte, dann wäre es ebenso. Aber er konnte den Gedanken nicht loswerden, daß eine äußerliche Verjüngung nur eine Maske war, während sein wirkliches Gesicht – irgendwo, irgendwie – weiterexistierte und alterte. Dorian Gray … das alberne, moralisierende Märchen, das von überholten ewigen Wahrheiten nur so triefte.
    Es war eine gute Sache, sich gesund und vital zu fühlen – sich nicht mit Arthritis herumquälen zu müssen, ohne Schmerzen, Krämpfe, ohne die ewigen Erkältungen zu leben, die Kurzatmigkeit, an die er sich lebhaft erinnerte. Jedes bißchen mehr war schon zuviel, machte es zu leicht. Jede Kopie konnte ein Hollywood-Adonis sein, wenn sie wollte – von einem Augenblick auf den andern. Jede Kopie konnte eine Gewehrkugel überholen, ein Hochhaus aus den Fundamenten heben, Planetenbahnen verändern …
    Thomas öffnete die Augen und streckte die Hand nach dem Spiegel aus. Er fuhr über die Glasfläche – er wußte, daß er nur die Entscheidung hinauszögerte. Etwas störte ihn noch immer.
    Wieso war Durham auf ihn gekommen? Der Mann mochte geistesgestört sein, ja – aber er schien auch intelligent und bis zu einem bestimmten Punkt rational gewesen zu sein. Warum hatte er bei seiner Suche nach ungesicherten Kopien ausgerechnet ihn angesprochen? Seine Hardware war wasserdicht. Die Installationsprogramme waren fehlerfrei, sein Vermögen wurde treuhänderisch verwaltet. Warum hatte er sich ein Ziel ausgesucht, das absolut sicher war?
    Das Schwindelgefühl kehrte zurück. Fünfundsechzig Jahre war es her. Keine Zeitung, kein Polizeibericht hatte seinen Namen erwähnt; keine noch so gründliche Datenbankrecherche könnte ihn mit Anna in Verbindung bringen. Niemand, der noch lebte, konnte von seiner Tat wissen – schon gar nicht ein fünfzigjähriger Ex-Patient einer Klapsmühle auf der anderen Seite der Erde.
    Sogar der Mann, der das Verbrechen begangen hatte, war tot. Thomas war dabeigewesen, als seine Leiche im Krematorium zu Asche verbrannte.
    Er konnte nicht ernsthaft glauben, daß Durhams Angebot einer sicheren Zuflucht eine geschickt verklausulierte Umschreibung dafür war, daß er die Vergangenheit wieder aufwärmen könnte? Erpressung?
    Nein. Das war lächerlich.
    Warum also nicht ein paar Anrufe erledigen und dafür sorgen, daß der arme Mann behandelt wurde? Warum nicht den besten schweizerischen Neurochirurgen beauftragen (der die Operation zuerst am Modell überprüfte – an einem wirklich guten, vollständigen Quasigehirn … )?
    Gab es vielleicht doch eine Möglichkeit, daß Durham die Wahrheit sagte? Daß er eine Zweitversion an einem Ort betreiben konnte, der für Milliarden Jahre sicher war?
    Das Terminal summte. »Ja?«
    Heidrich hatte Löhr abgelöst; manchmal schienen die Schichten so schnell zu wechseln, daß Thomas schwindlig wurde. »In fünf Minuten beginnt Ihre Vorstandssitzung bei der MIND-Bank, Herr Riemann.«
    »Danke, ich bin unterwegs.«
    Thomas prüfte sein Aussehen im Spiegel und sagte: »Bitte kämmen.« Sein Haar erhielt wie von Geisterhand eine halbwegs passable Frisur, der blasse Teint wurde dunkler, die Gesichtsmuskeln strafften sich. An seinem Anzug war nichts herzurichten, er war knitterfrei – wie damals im Leben.
    Fast hätte er gelacht, aber seine honorige Erscheinung verbot es. Sachlichkeit, Ehrlichkeit, Selbstgefälligkeit – Wahnsinn. Wie gesagt, ein Drahtseilakt. Je nachdem, wie man rechnete, war er neunzig Jahre alt – oder fünfundachtzig. Und wußte immer noch nicht, wie man lebte.
    Im Hinausgehen nahm er seinen Selbstvertrauen & Zuversicht und kippte ihn auf den Teppich.
     

9
    (Zerhackter, verlangsamter Spielzeugmensch)
    Juni 2045
     
    Paul stieg die

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