Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
Vom Netzwerk:
was Sie wirklich sind.
    Neben dem Sessel gab es ein Terminal. Er drückte eine Taste, und einer seiner persönlichen Assistenten, Hans Löhr, erschien auf dem Bildschirm.
    Beiläufig sagte Thomas: »Finden Sie soviel wie möglich über meinen Besucher heraus, ja?«
    Löhr antwortete sofort. »Ja, Herr Riemann.«
    Thomas’ Stab bestand aus sechs Assistenten, die sich rund um die Uhr ablösten. Menschen aus Fleisch und Blut, die über eine Software mit automatischer Geschwindigkeitsverlangsamung mit ihm kommunizierten. Thomas hielt auf Distanz und sprach nie anders mit ihnen als über das Terminal. Die Unterscheidung zwischen echten Besuchern und einem bloßen Bild auf dem Schirm war durch die Software willkürlich, doch ließ sie sich in der Praxis durchhalten. Manchmal stellte er sich vor, daß seine Leute in München oder Berlin arbeiteten … weit genug entfernt, um die Tatsache zu erklären, daß sie ihm nie vis-à-vis gegenüberstanden, und nah genug, daß er sie als Mittelspersonen zur Welt draußen betrachten konnte. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, wo sie sich tatsächlich aufhielten, und konnte deshalb jeden Widerspruch zwischen Vorstellung und Wirklichkeit vermeiden.
    Er seufzte und nahm einen weiteren Schluck S&Z. Es war ein Drahtseilakt. Eine Kopie konnte wahnsinnig werden, egal was sie auch tat. Scherte man sich zu sehr um die Realität, wurde das ständige Beobachten der Infrastruktur zur Zwangsvorstellung – all die Algorithmen und Prozessoren, die Betrugsmaschinerie, die jedem Aspekt der Welt zugrunde lag. Kümmerte man sich zu wenig darum, dann verlor man sich immer mehr in einer selbstzufriedenen Phantasiewelt, in der das Leben ganz normal weiterging und alles Widersprüchliche vermieden oder weggeleugnet wurde.
    War das vielleicht Durhams Absicht? Ihn in den Wahnsinn zu treiben ?
    Thomas hatte die übliche Überprüfung angeordnet, bevor man Durham eingelassen hatte. Sie hatten nur herausgefunden, daß Durham als Vertreter für Gryphon Financial Ltd. arbeitete – eine halbwegs erfolgreiche anglo-australische Gesellschaft – und nie kriminell in Erscheinung getreten war. Besondere Vorsichtsmaßnahmen waren kaum zu rechtfertigen; Riemanns VR-Berater hatten versichert, daß nur eine Manipulation der Hardware in situ das System beschädigen oder zerstören konnte. Die Software war gegen ein Eindringen unerwünschter Informationen von draußen sicher. Amoklaufende Besucher, die mit einem heimtückischen, binärkodierten Daumenschnippen bösartige Viren einschleppten, gab es nur im Fernsehen (buchstäblich; Thomas hatte es in einer Folge von »Die fehlerhafte Familie« gesehen).
    Durham hatte gesagt: »Ich will Ihnen nichts vormachen. Ich war einige Zeit in einer psychiatrischen Klinik. Zehn Jahre. Wahnvorstellungen – verrückte, überaus phantastische Wahnvorstellungen. Heute weiß ich, daß ich ernsthaft krank war. Das kann ich zurückblickend ohne Hemmungen oder falsche Scham sagen.
    Aber ich erinnere mich auch an das, woran ich während meiner Krankheit geglaubt habe. Ohne auch nur eine Sekunde meinen damaligen Zustand zu vergessen – diese Erinnerungen faszinieren mich …«
    Thomas lief es kalt über den Rücken. Er hob sein Glas … und stellte es wieder ab. Wenn er weiter trank, dann konnte nichts von dem, was der Mann gesagt hatte, ihn noch beunruhigen – aber er war nicht betrunken genug, um sicher zu sein, daß er das tatsächlich wollte.
    »Wenn Sie nicht bereit sind, das Experiment am eigenen Leib zu versuchen, dann bedenken Sie, welche Möglichkeiten es Ihnen bietet. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Art und Weise, in der Sie berechnet werden, ändern lassen – und was die Folgen wären. Nur ein Gedankenexperiment! Ist das zuviel verlangt? Mehr habe ich auch an mir selbst nicht versucht.«
    Das Terminal meldete sich summend, und Thomas nahm an. Löhr sagte: »Ich habe einen vorläufigen Bericht über Durham. Soll ich vorlesen?«
    Thomas schüttelte den Kopf. »Ich werde es mir anschauen.«
    Er öffnete die Datei und ließ sich zunächst eine Übersicht geben. Paul Kingsley Durham. Geboren in Sydney am 6. Juni 2000. Eltern: Elisabeth Anne Maddox und John Arthur Durham … Besitzer eines Feinkostgeschäfts in Concord, einem Vorort von Sydney, von 1996 bis 2032 … verbrachten den Lebensabend in Mackay, Queensland … inzwischen verstorben.
    Ausbildung: staatliche Oberschule; Abschluß 2017. Aggregierte Gesamtnote im unteren Drittel, beste Fächer Physik und

Weitere Kostenlose Bücher