Cyberabad: Roman (German Edition)
Nath, was meinen Sie damit?«
»Wir meinen, dass Sie sich mit kleinen Sachen bewährt haben, aber das kann jeder Straßen-Gunda.«
»Ich bin nicht irgendein Straßen-Gunda.« Unten im Tanzschacht flackert es blau.
»Dann demonstrieren Sie es, Mr. Faraji.« Sie blickt sich zu ihrem Bruder um. Shiv spürt Yogendras Hand auf seinem Ärmel. »Das Mädchen, mit dem Sie reingekommen sind, das Sie hier hochgebracht haben. Ich glaube, Sie sagten, dass Sie es in der Bar kennengelernt haben.«
»Sie ist nur irgendjemand, dem ich begegnet bin. Sie wollte die VIP -Ebene sehen.«
»Sie ist nichts, das waren Ihre Worte.«
»Ja, das habe ich gesagt.«
»Gut. Bitte werfen Sie sie über das Geländer.«
Shiv will lachen – ein lautes hustendes Bellen von einem Lachen, das die Größe und Form dieses Untergrundsaals hat, über Verrücktheiten, die man unmöglich aussprechen kann.
»Vieles ist Ihnen anvertraut worden, Mr. Faraji. Das Mindeste, was wir verlangen können, ist ein Beweis Ihrer Vertrauenswürdigkeit.«
Das Lachen erstirbt in seinen Lungen. Die Rampe ist hoch und kalt und furchtbar zerbrechlich über dem riesigen Abgrund. Die Lichter sehen aus wie Epilepsie.
»Sie machen Witze. Sie sind verrückt. Das Mädchen sagte, dass Sie verrückte Arschlöcher sind, dass Sie gern Sachen machen, verrückte Spiele.«
»Umso mehr ein Grund. Wir dulden keine Beleidigungen, Mr. Faraji. Für uns ist das genauso ein Test wie für Sie. Glauben Sie uns, wenn wir sagen, dass Sie hier so etwas tun können und niemand Sie behelligen wird?«
Es wäre einfach. Sie steht am Geländer, blickt zu ihm und den Steinreichen auf der Rampe herüber. Sie hat sich mit Kunda Khadars entspannt. Ein Fußhaken, ein Stoß, das Metallgeländer als Angelpunkt würde sie hinüberhebeln. Aber er kann es nicht. Er verkauft Teile, er ist ein Händler, ein Metzger, er kann Leichen in Flüssen entsorgen, aber er ist kein Killer. Und jetzt ist er tot. Er könnte genauso gut auf das Geländer steigen, die Arme ausstrecken und sich fallen lassen.
Shiv schüttelt den Kopf. Er will es ihnen sagen, aber Yogendra ist schneller. Juhi lächelt, runzelt die Stirn, öffnet den Mund zu einem Schrei, alles in dem kurzen Moment, den Yogendra braucht, um sie zu rammen. Er ist ein schlak siger Welpe, aber er hat Schwungkraft. Das Glas fliegt durch die Luft und versprüht einen Nebel aus blutrotem Wodka. Juhi taumelt zurück. Yogendra senkt den Kopf und versetzt ihr einen Stoß ins Gesicht. Ihre Hände fliegen hoch. Sie verliert das Gleichgewicht. Sie kippt rückwärts über das Geländer. Ihre Gavialstiefel strampeln, ihre Federn flattern, ihre Arme rudern. Sie fällt durch das zuckende Licht und die stillen Tänzer. Der kurze Schrei, das eindringliche Knacken, als sie gegen den Rand der unteren Rampe kracht, hallen im Betonbrunnen der Construxx -Baustelle August 2047 wider. Sie prallt auf. Sie wird herumgewirbelt, ein fremdes, deformiertes, zerbrochenes Ding. Shiv hofft, dass der Aufschlag sie getötet hat. Er hofft, dass ihr Rückgrat schnell und sauber gebrochen ist. Alle hören den weichen, splitternden, dumpfen Aufprall, als sie den Grund des Schachts erreicht. Es hat sehr viel länger gedauert, als Shiv sich vorgestellt hatte. Als er über das Geländer späht, sieht er, wie die Türsteher angerannt kommen. Sie können nichts mehr tun, nur noch in ihre Kragen sprechen. Sie blicken entlang der Lichtstrahlen hinauf direkt zu ihm. Das Gekreische von unten beginnt. Construxx August 2047 ist ein Zylinder aus panischen Schreien.
Sie ist für eine Nacht ausgegangen. Das war alles. Drinks. Tanzen. Ein Flirt. Ein bisschen Prominenz. Spaß. Etwas, das man den Mädchen am nächsten Tag erzählen kann.
Das leere Glas dreht sich noch auf dem Boden.
Nitish und Chunni Nath schauen sich an.
Er ist kein Killer. Er ist kein Killer.
Ein russisches Mädchen gibt ihm eine dicke Plastik-Brieftasche. Er kann die zusammengeknüllten Geldscheine durch das rauchbraune Vinyl sehen. Es scheint vor ihm zu schweben, er kann nicht verstehen, was es ist. Er kann Yogendra am Geländer sehen, in sich zusammengezogen, bleich wie Knochen. Er kann nicht verstehen, was es ist.
Sie ist für eine Nacht ausgegangen. Eine Leiche, in dunkles Wasser hineingleitend. Juhi, die von ihm fort in die Tiefe fällt, mit rudernden Händen und Füßen.
»Übrigens.« Jetzt redet Nitish. Seine Stimme hat noch nie so tot und flach geklungen, nicht einmal im Stummfeld. »Falls Sie sich fragen sollten, was die
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